Die klientenzentrierte Psychotherapie (Gesprächspsychotherapie) - Merkmale, Ablauf, Entwicklung

Bei der Gesprächspsychotherapie handelt es sich um eine Behandlungsform der Humanistischen Psychologie. Entwickelt wurde sie von dem US-Psychologen Carl Rogers. Der Patient mit seinem eigenen Konzept steht bei der Behandlung im Mittelpunkt. Die Therapie kann bei unterschiedlichen Krankheitsbildern eingesetzt werden. Informieren Sie sich über Merkmale und Ablauf der Gesprächspsychotherapie.

Von Jens Hirseland

Konzept und Entwicklung der Gesprächspsychotherapie

In der Medizin bezeichnet man die Gesprächspsychotherapie auch als klientenzentrierte, personenzentrierte oder non-direktive Psychotherapie. International üblich ist die Bezeichnung "Personenzentrierte Psychotherapie". Sie ist Bestandteil der Humanistischen Psychologie.

Als Begründer der Gesprächspsychotherapie gilt der amerikanische Psychologe Carl R. Rogers (1902-1987). Hierzulande erlangte die klientenzentrierte Psychotherapie in den 60er Jahren durch den deutschen Psychologen Reinhard Tausch und dessen Frau Anne-Marie Bekanntheit.

Rogers, der zu den Hauptvertretern der humanistischen Psychologie zählt, gelang der Beweis, dass der Erfolg einer Behandlung nicht nur von einer bestimmten Methode abhängt. So ist auch die Verbindung zwischen Therapeut und Patient von entscheidender Bedeutung.

Der Patient und sein Selbstkonzept

In der Gesprächspsychotherapie wird davon ausgegangen, dass der Patient über die Tendenz zur Vervollkommnung und Selbstverwirklichung verfügt. Diese Tendenz sorgt unter günstigen Voraussetzungen dafür, dass sich die Persönlichkeit weiterentwickelt.

Das bedeutet, dass der Patient alles, was zu seiner Heilung notwendig ist, in sich trägt. So kann er seine persönliche Lage selbst am besten einschätzen und passende Lösungen herausfinden. Doch nicht immer stimmen das Selbstkonzept des Menschen und seine Handlungen miteinander überein, wodurch es zu Konflikten kommt.

Brüche im Selbstkonzept erkennen und überwinden

Im Rahmen einer Gesprächspsychotherapie unternimmt der Therapeut den Versuch, die Brüche, die im Selbstkonzept des Patienten auftreten, offen zu legen, indem er sich mit dessen aktuellen Problemen beschäftigt.

Im Rahmen eines offenen Gesprächs arbeitet man dabei die Probleme heraus. Auf eine Bewertung wird jedoch verzichtet, damit der Klient sich gut aufgehoben fühlt. Wichtig ist zudem, dass die Gesprächsatmosphäre warm und voller Anteilnahme ist.

Während des Gesprächs versucht der Therapeut, Verständnis für das, was der Patient sagt, zu zeigen. Auf diese Weise entsteht eine Atmosphäre, die der Klient als Wirklichkeit akzeptiert. Dadurch kann er wiederum sein Selbstkonzept verändern, um zu größerer Selbstachtung zu gelangen.

Bestandteile und Behandlungsprinzip der Gesprächspsychotherapie

Wichtig für das Gelingen der Therapie sind nach Rogers Ansicht

  • Empathie
  • Offenheit
  • Authentizität
  • Akzeptanz
  • Echtheit
  • ein Zustand der Inkongruenz
  • eine urteilsfreie Annahme

Bei der Gesprächspsychotherapie stehen der Patient und das Konzept, das er von sich selbst hat, im Mittelpunkt. So verfügt jeder Mensch über bestimmte Vorstellungen von seiner Persönlichkeit, die man als Selbstkonzept bezeichnet. Allerdings kann ein Mensch auch in Konflikt mit sich selbst geraten, was oft zu seelischen Störungen führt.

ei einer Gesprächspsychotherapie versucht der Therapeut diese Brüche zu erkennen. Im Unterschied zur Psychoanalyse konzentriert man sich dabei nicht auf die Vergangenheit des Patienten, sondern auf dessen Gegenwart. In offenen Gesprächen zwischen Therapeut und Patient, die in einer respektvollen und warmen Atmosphäre stattfinden, arbeitet man die Probleme heraus, ohne dass eine Bewertung vorgenommen wird.

Ziel

Ziel der Gesprächspsychotherapie ist es, den Patienten dazu zu bringen,seine Konflikte zu erkennen und ein anderes Verhalten zu entwickeln. Durch dieses veränderte Verhalten kommt es indirekt auch zur Besserung seiner Beschwerden.

Mithilfe der Gesprächspsychotherapie hat der Klient die Gelegenheit, seine Konflikte zu erkennen. Dadurch ist es wiederum möglich, auch die Beschwerden indirekt beseitigen.

Ein Gespräch pro Sitzung dauert etwa 60 Minuten. In der Regel wird jede Woche eine Sitzung abgehalten.

Über Carl Ransom Rogers

Carl R. Rogers arbeitete rund zwölf Jahre als Psychotherapeut und Berater. Zwischen 1940 und 1963 lehrte er dann an unterschiedlichen amerikanischen Universitäten als Professor für Psychologie und Psychiatrie. Dabei betrieb er intensive wissenschaftliche Forschungsarbeiten.

Forschungsarbeiten

Rogers beobachtete mehrere Jahre lang Psychotherapeuten und Berater bei deren beruflichen Tätigkeiten. Dabei gelangte er zu der Ansicht, dass erfolgreiche Therapeuten sich während der Gespräche vor allem darauf beschränkten, ihren Patienten zuzuhören und nur selten eigene Kommentare abgaben.

Lediglich zwischendurch oder am Ende des Gesprächs fassten sie das Gehörte zusammen. Außerdem verfügten gute Therapeuten über ein hohes Einfühlungsvermögen.

Während dieser Zeit befasste er sich zunehmend mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Mensch über sein Erleben spricht und dabei lernt, sich selbst besser zu verstehen und sein Verhalten positiv zu verändern.

In zahlreichen Studien prüfte Rogers die Zusammenhänge zwischen personenzentrierter Haltung sowie konstruktiven Veränderungen der Persönlichkeit. In den 60er Jahren wurde im kalifornischen La Jolla das "Center for Studies of the Person" ins Leben gerufen, zu dessen Mitbegründern auch Carl R. Rogers zählte. Bis zu seinem Lebensende arbeitete Rogers für dieses Forschungszentrum.

Einflüsse

Zu Rogers Vorbildern gehörten der amerikanische Philosoph John Dewey (1859-1952) sowie der österreichische Psychoanalytiker Otto Rank (1884-1939). Darüber hinaus wurde er von der fernöstlichen Philosophie und dem Zen-Denken beeinflusst.

Seinen Behandlungsansatz zur klientenzentrierten Psychotherapie begann Rogers zwischen 1938 und 1950 zu entwickeln.

  • Starken Einfluss übte diese Therapieform auf die Encounter-Bewegung aus.
  • Des Weiteren kommt sie als Beratungsform im Management- und Bildungsbereich zur Anwendung.

Grundlagen der Gesprächspsychotherapie

Nach Rogers Meinung ist es für den Erfolg der Therapie überaus wichtig, dass der Therapeut nicht lenkend eingreift. Das heißt, dass er:

  1. dem Patienten keine bestimmten Themen vorgibt

  2. das Gehörte nicht deutet

  3. auch keine Ratschläge erteilt

Daher unterscheidet sich die Gesprächstherapie deutlich von der Verhaltenstherapie, die den Patienten zu einem bestimmten Verhalten anregen will, und der Psychoanalyse, bei der unbewusste Konflikte gedeutet werden.

Menschenbild der Gesprächstherapie

Vielmehr möchte die Gesprächstherapie den Patienten, der meist als Klient bezeichnet wird, dazu anregen,

  • sich selbst zu erforschen
  • Probleme zu erkennen und
  • selbst Lösungen zu entwickeln.

So wird in dem Menschenbild der Gesprächstherapie davon ausgegangen, dass der Mensch von Geburt an über eine Tendenz zur Selbstverwirklichung und Vervollkommnung verfügt.

Diese Tendenz bewirkt unter günstigen Voraussetzungen die Weiterentwicklung und Reifung einer Persönlichkeit. Das heißt, dass der Patient alles, was zu seiner Heilung erforderlich ist, bereits in sich trägt, sodass er selbst seine persönliche Lage analysieren und eigene Problemlösungen finden kann. Beruhend auf einem humanistischen Weltbild zog Carl R. Rogers die Schlussfolgerung, dass die Psychotherapie bei einem gestörten Wachstumsprozess ein günstiges Klima schaffen müsse.

Richtige Atmosphäre für den Therapieerfolg

Das heißt, dass die Atmosphäre während der Therapie von Empathie und Warmherzigkeit geprägt sein sollte, um die Probleme des Patienten herausarbeiten zu können. Auf eine Bewertung wird dabei verzichtet.

Zu seelischen Störungen kommt es nach Meinung von Rogers besonders dann, wenn ein Mensch bestimmte Gefühle und Erfahrungen nicht erleben darf. Von größter Bedeutung für die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts sind Wertschätzung und Anerkennung sowie wichtige Gefühle wie Trauer oder Wut.

Kommt es jedoch, zum Beispiel durch den Einfluss der Eltern, zur Unterdrückung oder Bestrafung dieser Gefühle, kann dies zu einem negativen Selbstkonzept führen. Eine vertrauensvolle Atmosphäre bestärkt den Klienten darin, phantasievoll und ohne Angst an der Lösung seiner Probleme zu arbeiten. Dadurch lässt sich ein Prozess in Gang bringen, dessen Ziel die Heilung oder Besserung von psychischen oder psychosomatischen Störungen ist.

Selbstkonzept - Diskrepanz zum Wahrnehmen des Organismus

Zu den wichtigsten Punkten von Rogers Persönlichkeitsmodell zählt also das Selbstkonzept. Demnach kommt es durch die Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept und dem Wahrnehmen des Organismus zu Anspannungen von psychischer Relevanz, die der Mensch als Konflikte wahrnimmt.

Im Falle von psychischen Problemen soll die Therapie

  • das Idealbild und das Selbstbild des Patienten in Einklang bringen und
  • auf diese Weise eine reifere emotionale Anpassung bewirken.

Das Selbstkonzept eines Menschen ändert sich Rogers zufolge ständig, was vor allem von der Selbsterfahrung abhängt. Grundsätzlich ist der Mensch jedoch gut. Verhält er sich schlecht, liegt dies an einer Fehlanpassung, die durch die Missachtung der Selbstverwirklichungsbedürfnisse des Klienten entsteht, was oft bereits schon in der Kindheit der Fall ist.

Personenbegriff - zwischen Beziehungsabhängigkeit und Autonomie

Mit der Weiterentwicklung der klientenzentrierten Psychotherapie wurde der Begriff der Person mehr in den Mittelpunkt gerückt. So fasst man die Person als autonom und auf sich selbst bezogen, aber auch auf die Mitmenschen bezogen (relational) auf. Das heißt, dass die Person in einem untrennbaren Wechselzustand aus Beziehungsabhängigkeit und Autonomie lebt.

Diese Verknüpfung aus Relationalität und Substantialität ist für das moderne Personenkonzept der klientenzentrierten Psychotherapie von größter Bedeutung.

Die Elemente der klientenzentrierten Psychotherapie

Drei therapeutische Grundelemente

Zu den Grundpfeilern der klientenzentrierten Psychotherapie gehört die Annahme, dass der Mensch das Bedürfnis nach bedingungsloser Wertschätzung und positiver Veränderung verspürt.

Um das Selbstkonzept eines Patienten bzw. Klienten psychologisch zu verändern, ist es wichtig, dass der Psychologe in seiner Beziehung zum Patienten drei Grundelemente einhält. Dazu gehören:

1. Bedingungslose positive Wertschätzung

Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für das Gelingen der klientenzentrierten Psychotherapie ist die unbedingte positive Wertschätzung des Klienten. Diese Wertschätzung muss auch die Eigenheiten der Person einschließen.

Seine Wertschätzung kann der Psychologe zeigen, indem er den Klienten ermutigt oder dessen Aussagen vorbehaltlos annimmt. So ist es wichtig, dass der Therapeut sich mit seinem Klienten solidarisiert. Auf diese Weise wird das Selbstvertrauen des Patienten, aber auch dessen Vertrauen in die Therapie gesteigert.

2. Empathie

Unter Empathie versteht man die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen zu verstehen. Das heißt, der Therapeut muss in der Lage sein, die Probleme des Klienten aus dessen Sicht zu sehen.

Zu den Grundformen der Empathie zählen zum Beispiel

  • das Konkretisieren der Aussagen des Klienten oder
  • das Wiederholen des Gesagten.

Dabei sollte der Therapeut das Selbstkonzept des Patienten sowie dessen haltungsprägendes Erleben berücksichtigen. Neben den verbalen Äußerungen sind auch andere Faktoren wie Mimik oder Gestik zu berücksichtigen. Alles, was der Therapeut wahrnimmt und nachvollzieht, teilt er seinem Klienten während der Sitzung mit.

3. Kongruenz

Als Kongruenz bezeichnet man das authentische Kommunizieren des Therapeuten mit seinem Patienten. Der Therapeut muss also offen und ehrlich gegenüber dem Klienten sein und sich so verhalten, wie er in Wahrheit ist. Das heißt, dass er dem Patienten gegenüber auf eine Therapeutenhaltung verzichtet.

Zur Offenheit gehört auch, dass der Therapeut sich dem Klienten nicht nur fachlich, sondern auch menschlich öffnet. Durch diese Kongruenz kann sich der Patient seinem Therapeuten leichter offenbaren. Keinesfalls darf der Therapeut dem Patienten nur etwas vorspielen.

Drei weitere Elemente der klientenzentrierten Psychotherapie

Neben diesen drei therapeutischen Grundelementen wurden von Carl R. Rogers noch weitere Kriterien für eine fruchtbare Beziehung zwischen Therapeuten und Patienten aufgestellt.

So sollte zwischen dem Therapeuten und dem Klienten ein psychologischer Kontakt bestehen und der Klient muss sich in einem Zustand der Inkongruenz befinden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass der Patient das Behandlungsangebot wahrnehmen kann - zumindest ansatzweise.

Werden diese Kriterien erfüllt, sind die Aussichten für einen erfolgreichen Therapieverlauf gut.

Experten empfehlen, vor Beginn der eigentlichen Therapie zunächst einmal einige Vorgespräche zu führen. Der Patient sollte erst dann die Therapie durchführen, wenn er sich absolut sicher ist, dass der Therapeut auch der richtige für ihn ist.

Anwendungsgebiete und Voraussetzungen zur Durchführung der Gesprächspsychotherapie

Zur Anwendung kommt die Gesprächspsychotherapie in erster Linie:

In beinahe jedem Lebensbereich hat sich die Gesprächspsychotherapie schon bewährt. Als weniger wirkungsvoll gilt sie jedoch bei Beziehungsstörungen und Angststörungen.

Fokussierung auf den Patienten

Wichtigster Punkt bei der Durchführung der klientenzentrierten Psychotherapie ist, dass der Patient bzw. Klient sowie dessen Vorstellungen, Bedürfnisse und Gefühle den Mittelpunkt der Therapie bilden.

Aktives Zuhören und Wiederholen

Eine Besonderheit der Personenzentrierten Psychotherapie ist das Wiederholen der Aussagen des Patienten. Dazu muss der Therapeut aktiv zuhören und den Inhalt der Aussagen präzise wiedergeben, ohne etwas abzuändern oder hinzuzufügen.

Auf diese Weise führt der Therapeut seinen Klienten immer mehr in dessen eigene Wahrnehmung. Dabei kann der Klient auf Antworten stoßen, die er sonst nicht erkennt oder nicht auszusprechen wagt.

Dauer und Kosten der Gesprächspsychotherapie

Durchgeführt wird eine Gesprächspsychotherapie normalerweise einmal in der Woche. Jede Sitzung dauert etwa 50 Minuten. Insgesamt kann die Therapie ca. zwei Jahre in Anspruch nehmen, was jedoch von dem Ausmaß der Erkrankung abhängt.

Die Kosten pro Sitzung liegen zwischen ca. 50 und 100 Euro. Allerdings werden die Behandlungskosten von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen.