Gangstörung - Ursachen und Behandlung

Von einer Gangstörung ist die Rede, wenn eine Beeinträchtigung des Bewegungsapparates vorliegt. Gangstörungen machen sich auf unterschiedliche Weise bemerkbar und reichen von leichtem Hinken bis hin zu schweren Beeinträchtigungen, in deren Rahmen das Gehen kaum noch möglich ist. In der Regel treten Auffälligkeiten beim Tempo des Gehens oder beim Gangmuster auf. So erscheint das Gehen nicht flüssig und harmonisch. Eine Gangstörung wirkt sich insgesamt negativ auf die Mobilität des Betroffenen aus. Vor allem bei Senioren besteht die Gefahr eines Sturzes, der wiederum weitere Verletzungen nach sich ziehen kann. Lesen Sie hier alles Wichtige zur Gangstörung.

Von Jens Hirseland

Gangstörungen werden in der Medizin auch als Gangbildstörungen, Ganganomalien, Gangataxien oder Gehstörungen bezeichnet.

Häufigkeit von Gangstörungen

Besonders betroffen von einer Gangstörung sind ältere Menschen über 65 Jahre. Dabei leiden in Deutschland rund 15 Prozent aller über 65-jährigen sowie 40 Prozent aller über 85-jährigen Bundesbürger unter einer Gangstörung.

Formen von Gangstörungen

Die Medizin teilt die Gangstörungen in drei Formen ein: orthopädisch bedingte Gangstörungen, neurologisch bedingte Gangstörungen und psychogene Gangstörungen.

Orthopädisch bedingte Gangstörungen

Zu den häufigsten Ganganomalien zählen orthopädisch bedingte Gangstörungen wie das Hinken. Diese werden oftmals durch bereits angeborene Hüftdysplasien oder erworbene Hüftluxationen verursacht.

Eine weitere Gangstörung bildet das Versteifungshinken. Es entsteht durch Gelenkversteifungen, Schmerzen an Hüfte, Knie oder Sprunggelenk, eine Coxarthrose oder Morbus Perthes. Zum Gehen stützen die Patienten das Becken zur Unterstützung auf die betroffene Körperseite.

Weitere Auslöser für orthopädisch bedingte Gangstörungen:

Neurologische Gangstörungen

Neurologische Gangstörungen werden durch Erkrankungen oder Verletzungen des Nervensystems hervorgerufen. Dazu gehören in erster Linie:

Psychogene Gangstörungen

Psychogene Gangstörungen werden von der Psychiatrie als dissoziative Bewegungsstörungen eingestuft und den dissoziativen Störungen zugeordnet. Hervorgerufen werden sie in der Regel durch problematische Ereignisse in der Lebensgeschichte des Patienten oder als psychosomatische Symptome aufgrund von aktuellen Konflikten.

Weil die psychogenen Gangstörungen bislang noch nicht hinreichend erforscht wurden, gestaltet sich ihre Behandlung schwieriger. Klar ist jedoch, dass diese Ganganomalien stets durch psychische Auslöser hervorgerufen werden.

Ursachen einer Gangstörung

Die Ursachen für Gangstörungen sind mannigfaltig. Die meisten von ihnen entstehen jedoch durch Störungen des Bewegungsapparates oder Gleichgewichtsstörungen. Vor allem der Gleichgewichtssinn ist für das Stehen und Gehen des Menschen von entscheidender Bedeutung. Liegt eine Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinnes vor, hat dies Gangstörungen und sogar Stürze zur Folge.

Gleichgewichtssinn

Zusammengesetzt wird der Gleichgewichtssinn durch das visuelle System (die Augen), das propriozeptive System (Tastsinn sowie Informationen aus den Körperrandbereichen) und das Gleichgewichtssystem mit dem Gleichgewichtsorgan, das sich im Innenohr befindet. Von dem Gleichgewichtsorgan werden Beschleunigungen, Bremsmanöver und Drehungen registriert. Das Gleichgewichtsorgan ist sowohl im rechten als auch im linken Ohr vorhanden.

Bei einem Ausfall von einem der beiden Organe werden widersprüchliche Informationen abgegeben, wodurch wiederum Störungen des Gleichgewichtssinns und Schwindelgefühle drohen.

Bewegungsapparat

Ebenso wichtig wie der Gleichgewichtssinn ist der Bewegungsapparat für das menschliche Gangbild. So ist eine für ein normales Gangbild ausreichende Muskelkraft erforderlich. Neben den Muskeln selbst können aber auch Störungen der Nervenbahnen, von denen die Muskeln kontrolliert werden, für eine Gangstörung verantwortlich sein. Lässt sich ein Gelenk nicht normal bewegen, führt dies ebenfalls zu Gehbeeinträchtigungen. Auch Verschleißerscheinungen oder chronische Entzündungen der Gelenke sind eine häufige Ursache für Gangstörungen.

Mitunter besteht auch eine Überlappung von orthopädisch, neurologisch und psychogen bedingten Ganganomalien.

Folgen einer Gangstörung

Kann der Mensch nicht mehr normal gehen, wirkt sich dies negativ auf sein Alltagsleben aus. So bestehen erhebliche Einschränkungen bei Tätigkeiten, die zuvor als selbstverständlich erschienen. Im Alter kommt außerdem die Angst vor Stürzen hinzu. Nicht selten geraten die Betroffenen zunehmend in eine soziale Isolation, da sie nicht mehr imstande sind, ihre eigenen vier Wände alleine zu verlassen.

Symptome von Gangstörungen

Gangstörungen können sich auf unterschiedliche Weise bemerkbar machen:

  • Humpeln
  • Hinken
  • Schlurfen
  • einen unsicheren Gang mit Sturzneigung
  • das Abkippen in eine seitliche Richtung während des Laufens
  • das Fehlen des Kniebeugens beim Gehen
  • das unvollständige Anheben des Fußes beim Laufen, wobei eine Zehe auf dem Boden schleift

Mitunter wird die gesamte Haltung des Körpers durch die Gangstörung beeinträchtigt. Oft nehmen die Betroffenen bei einer chronischen Gangstörung auch eine Schonhaltung ein, die sich wiederum negativ auf andere Körperbereiche wie die Wirbelsäule auswirken kann.

Diagnose einer Gangstörung

Besonders bei einer akuten Gangstörung, die unvermittelt auftritt, sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden. Welcher Mediziner der richtige Ansprechpartner ist, richtet sich nach der Ursache der Gangbeeinträchtigung. So kann ein Orthopäde bei Störungen des Bewegungsapparats weiterhelfen, während bei neurologisch bedingten Gangstörungen ein Neurologe der richtige Facharzt ist. Im Zweifelsfall lässt sich aber auch zunächst der Hausarzt aufsuchen, der gegebenenfalls eine Überweisung an den geeigneten Facharzt vornimmt.

Der Arzt sammelt im Rahmen der Untersuchung zunächst einmal sämtliche relevanten Informationen, die mit der Gangstörung zusammenhängen. Dabei möchte er wissen, wie lange sie schon vorliegt, ob sie schleichend verläuft oder plötzlich einsetzt, bei welchen Gelegenheiten sie sich zeigt und ob beim Gehen Schmerzen auftreten. Von Interesse sind außerdem bestimmte Vorerkrankungen wie orthopädische Beschwerden, ein Schlaganfall oder Herzinfarkt und ob die Gangstörung von anderen Beschwerden begleitet wird.

Körperliche Untersuchung

An die Anamnese schließt sich die körperliche Untersuchung an. Dabei stellt der Arzt fest, auf welche Weise sich die Gangstörung äußert. Dadurch kann er bereits die Form der Ganganomalie einschätzen.

Ferner überprüft er, wie viel Zeit der Patient zum Aufstehen und Gehen benötigt. Das heißt, dass der Betroffene sich von einem Stuhl erhebt, einige Meter geht und anschließend wieder Platz nimmt. Ein solcher Vorgang nimmt im Normalfall nur zwanzig Sekunden in Anspruch. Braucht der Patient dazu jedoch länger als dreißig Sekunden, gilt dies als auffällig.

Schließlich kontrolliert der Mediziner auch den Gleichgewichtssinn. Dazu streckt der Patient seine Arme in die vordere Richtung aus und schließt auf Anweisung des Arztes seine Augen. Kommt es beim Verschließen der Augen zu Gleichgewichtsstörungen, ist dies ein Hinweis auf eine spinale Ataxie, in deren Rahmen das Vermitteln von Informationen im Rückenmark gestört ist. Leidet der Patient dagegen schon bei geöffneten Augen unter Gleichgewichtsproblemen, weist dies auf Beeinträchtigungen des Kleinhirns hin.

Zusätzliche Diagnoseverfahren

Um die Diagnose der Gangstörung abzusichern, können weitere Untersuchungsmethoden zum Einsatz gelangen:

Behandlung einer Gangstörung

Die Behandlung einer Gangstörung hängt von deren auslösender Ursache ab. Die Art der Behandlung richtet sich also auch danach, ob es sich um eine orthopädisch, neurologisch oder psychogen bedingte Ganganomalie handelt.

Zur Therapie einiger Ursachen werden Medikamente eingesetzt. Dazu gehören unter anderem Bluthochdruck, zu niedriger Blutdruck oder Durchblutungsstörungen. Nach einem Blutgerinnsel oder Schlaganfall bedarf es mitunter auch chirurgischer Eingriffe. Sind dagegen starker Alkohol- oder Drogenkonsum für die Gangstörung verantwortlich, reicht meist schon ein konsequenter Verzicht auf diese Rauschmittel aus. Bei schweren Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder der Parkinson-Krankheit beschränkt sich die Behandlung oft darauf, das Voranschreiten des Leidens aufzuhalten und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern.

Zur Behandlung neurologischer Gangstörungen, die durch eine Durchblutungsstörung ausgelöst werden, erhalten die betroffenen Personen durchblutungsfördernde Arzneimittel. Manchmal lassen sich die Gefäße auch durch eine spezielle Gefäßoperation wieder durchlässiger machen.

Ist ein Hirntumor für eine Gangstörung verantwortlich, wird dieser zumeist durch Bestrahlungen oder eine Chemotherapie behandelt. Ebenso ist ein operativer Eingriff möglich.

Physiotherapie

Als sinnvoll zur Behandlung von Gangstörungen gelten unterstützende physiotherapeutische Methoden wie regelmäßige Krankengymnastik oder physikalische Maßnahmen wie die Anwendung von Wärme, Massagen oder Bewegungsbäder. Sie stärken die Kraft der Muskeln und verbessern die Koordination der Bewegungen. Nach einem Schlaganfall kann auch eine Ergotherapie sinnvoll sein.

Was der Patient selbst tun kann

Eine offensive Vorgehensweise des Patienten kann manche Gangstörung durchaus positiv beeinflussen. So gelten ein gesunder Lebensstil sowie ausreichend Bewegung als hilfreich, um die Gangstörung zu lindern.

Im Rahmen der Krankengymnastik werden dem Patienten wichtige Gangübungen beigebracht, die er zuhause auch regelmäßig vornehmen sollte. Neben der konventionellen Gymnastik gilt auch Gehtraining durch Spaziergänge oder Nordic Walking als sinnvoll.

Darüber hinaus ist es wichtig, auf den Genuss von Alkohol zu verzichten. Durch den Alkohol besteht die Gefahr von Schädigungen der Nervenbahnen sowie des Gehirns.

Ferner sollten sich Betroffene vor Stürzen absichern, weil diese weitere Schädigungen zur Folge haben können. Als empfehlenswert gilt das Anlegen von schützenden Hüftprotektoren.

Prognose bei einer Gangstörung

Eine Prognose lässt sich aufgrund der vielfältigen Ursachen der Gangstörungen nur schwer erstellen. So richtet sie sich danach, welche Ursache für die Gangschwierigkeiten verantwortlich ist. Außerdem spielt es eine bedeutende Rolle, wie lange die Gangstörung schon besteht.

Am besten sind die Aussichten bei orthopädisch bedingten Gehstörungen, weil sich dabei oft durch operative Eingriffe wieder ein normales Gangbild wiederherstellen lässt. Auch psychogen bedingte Gangprobleme gelten häufig als reversibel. Neurologische Ganganomalien lassen sich dagegen nur selten vollständig beheben.

Vorbeugung einer Gangstörung

Eine effiziente Vorbeugung von Gangstörungen ist schwierig. Vor allem neurologisch bedingte Ganganomalien sind oftmals nicht zu verhindern. Ansonsten kann eine gesunde Lebensweise, die ausreichend Bewegung sowie den Verzicht auf Alkohol beinhaltet, hilfreich sein.

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