Ticstörung - Merkmale, Ausprägungsformen und Behandlungsbedarf

Unter Ticstörungen oder Tics versteht man unwillentliche, schnelle Bewegungen, die plötzlich auftreten und nicht kontrolliert werden können. Man unterscheidet dabei motorische sowie vokale Tics. Primäre Tics treten ohne erkennbare Ursache auf, während sekundäre Tics als Folgeerscheinung einer anderen Störung auftreten. Lesen Sie über die Merkmale und Ausprägungsformen von Ticstörungen.

Gracia Sacher
Von Gracia Sacher
Klassifikation nach ICD-10: F95
ICD-10 ist ein weltweit verwendetes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Der sogenannte ICD-Code ist zum Beispiel auf einem ärztlichen Attest zu finden.

Ticstörungen: Merkmale und Formen

Ticstörungen bzw. Tics beschreiben plötzlich auftretende, schnelle Bewegungen von einzelnen Muskeln oder auch von ganzen Muskelgruppen. Eine Funktion hat diese Bewegung nicht.

Typisch ist die Wiederholung von Tics in verschieden großen Abständen. Der oder die Betroffene kann die Bewegungen dabei nicht kontrollieren. Man findet zahlreiche verschiedene Tics vor, welche sich in Ausprägung, Häufigkeit und Intensität deutlich voneinander unterscheiden können.

Ticstörungen können sowohl vorübergehend sein als auch einen chronischen Verlauf nehmen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass etwa 5 Prozent aller Menschen unter chronischen Tics leiden.

Bei den meisten Betroffenen verschwinden die Ticstörungen jedoch nach einer Weile wieder. Bleiben sie dauerhaft bestehen, lassen sie mit zunehmendem Lebensalter oftmals nach.

Tics können unterschiedlich klassifiziert werden. Dauern sie weniger als ein Jahr an und sind motorischer Natur, ist die Rede von einer vorübergehenden Ticstörung. Chronisch ist sie, wenn sie länger als 12 Monate lang andauert - in diesem Fall sind auch vokale Tics üblich.

In der Medizin unterscheidet man somit zwischen motorischen Tics und vokalen Tics.

Motorischer Tic wie Augenzwinkern und Co.

Um einen motorischen Tic handelt es sich, wenn einzelne oder mehrere Muskeln kurz bewegt werden. Diese Bewegungen können grundsätzlich jeden Muskel des Körpers betreffen.

Zumeist machen sich motorische Tics im Gesicht durch

  • Grimassen
  • Stirnrunzeln
  • Hochziehen der Augenbrauen
  • Blinzeln bzw. Augenzwinkern oder
  • Kopfwerfen

bemerkbar. Aber auch unterhalb des Kopfes treten Tics auf, wie zum Beispiel an den Schultern, die gezuckt werden, oder den Armen. Dagegen zeigen sie sich am Rumpf und an den Beinen nur selten.

Es gibt auch komplexe Formen des motorischen Tics. Dabei machen die betroffenen Personen Bewegungen wie

  • Klatschen
  • Hüpfen oder
  • Springen.

In extremen Fällen beißen oder schlagen sich die Patienten sogar selbst.

Vokaler Tic

Von einem vokalen Tic sprechen Mediziner, wenn die Betroffenen Laute wie

  • Räuspern
  • Hüsteln
  • Zischen
  • Grunzen
  • Pfeifen
  • Schnalzen
  • Schnüffeln oder
  • Bellen

von sich geben. Beim komplexen vokalen Tic kommt es sogar zur Bildung von ganzen Wörtern oder Sätzen. Dabei werden eigene oder fremde Wörter wiederholt oder Wörter ohne logischen Zusammenhang ausgesprochen. Mitunter kann es sich auch um beleidigende Äußerungen handeln.

Kombination: Tourette-Syndrom

Kommt es zu einer Kombination aus mehreren motorischen Tics und einem vokalen Tic, ist von einem Tourette-Syndrom die Rede, das zu den Störungen der Entwicklung des Nervensystems gezählt wird. Die meisten Personen, die vom Tourette-Syndrom betroffen sind, leiden zusätzlich unter weiteren Auffälligkeiten oder Störungen wie

Ein typisches Merkmal des Tourette-Syndroms, das sich vor allem bei erwachsenen Menschen zeigt, ist, dass die Betroffenen dabei oft obszöne Wörter von sich geben.

Ticstörungen bei Kindern

Besonders im Kindesalter oder Jugendalter kommt es häufig zum Auftreten von Tics. In den meisten Fällen sind diese vorübergehend und nach einigen Wochen oder Monaten wieder verschwunden.

Auch bei einer Dauer von mehr als 12 Monaten muss dies nicht bedeuten, dass die Tics chronisch werden - oftmals gibt es symptomfreie Intervalle. Im Laufe des Alters fallen die Symptome in der Regel immer milder aus; beim Tourette-Syndrom kann nur bei etwa einem Fünftel der Fälle von einem dauerhaften Rückgang gesprochen werden.

Gerade Kinder sind sehr oft von Tics betroffen - im Grundschulalter ist die Rede von jedem zweiten Kind, bei dem sich ein vorübergehender Tic entwickeln kann. Meistens handelt es sich um motorische Tics; Jungs sind dabei häufiger betroffen.

Es ist möglich, dass Tics als Symtpom bei psychiatrischen oder psychischen Erkrankungen auftreten. Dies ist etwa bei Kindern mit Asperger-Syndrom, ADHS oder emotionalen Störungen der Fall.

Doch die meisten Tics bei Kindern sind harmlos. So verschwindet ein Augenzucken, Blinzeln oder beispielsweise Räuspern nach einiger Zeit wieder.

Man geht davon aus, dass sich die Nervenbahnen der unterschiedlichen Hirnregionen nicht gleich schnell entwickeln, und die Bewegungssteuerung somit im Ungleichgewicht ist. Sobald die entsprechenden Bahnen nachreifen, verschwinden auch die Symptome wieder.

Ursachen

Eine Tic-Störung kann sowohl bereits angeboren sein als auch im Laufe des Lebens erworben werden. Man unterscheidet zwischen primären Tics, die sich ohne erkennbaren Grund manifestieren, sowie sekundären Tics. Bei diesen handelt es sich um die Folgeerscheinung einer anderen Störung oder Erkrankung.

Primäre Tics

Die Ursachen für einen primären Tic ließen sich bislang noch nicht feststellen. Es wird jedoch vermutet, dass bei den betroffenen Personen eine Störung des Gehirnstoffwechsels und der Neurotransmitter-Systeme besteht.

So werden bei Menschen, die unter Ticstörungen leiden, oftmals Veränderungen der Gehirnströme festgestellt. Bestimmte Faktoren wie Stress, Nervosität oder Emotionen können eine Tic-Störung noch verschlimmern.

Da Tic-Störungen oftmals familiär gehäuft auftreten, gehen Wissenschaftler davon aus, dass auch genetische Faktoren bei der Entstehung der Störungen eine Rolle spielen. Die genauen Abläufe sind jedoch nach wie vor unklar.

Sekundäre Tics

Sekundäre Tics werden durch Störungen oder Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) verursacht. Dazu gehören vor allem

In manchen Fällen entsteht ein sekundärer Tic auch durch die Einnahme von Medikamenten. Als Beispiel dafür dienen Tic-Störungen bei Kindern, die nach der Behandlung einer Epilepsie mit Konvulsiva auftreten.

Diagnose

Eine frühzeitige Diagnose der Tic-Störungen oder des Tourette-Syndroms ist überaus wichtig, denn je früher eine Therapie erfolgt, desto größer stehen die Chancen, dass der Tic einen chronischen Verlauf nimmt. Besteht Verdacht auf eine Tic-Störung, gilt es, für den Arzt festzustellen, ob es sich auch wirklich um einen Tic handelt und welche Ausprägungsform vorliegt.

So können manche Zwangsstörungen Ähnlichkeiten mit komplexen Tics aufweisen. Außerdem muss abgeklärt werden, ob möglicherweise eine Epilepsie die Ursache für die Tic-Störung ist.

Nur selten besteht eine akute Gefährdung der Gesundheit durch eine Ticstörung. Bei Kindern gilt der Kinderarzt als richtiger Ansprechpartner, während man als Erwachsener Neurologen oder Fachärzte aufsuchen sollte.

Behandlungsmöglichkeiten

Liegt ein sekundärer Tic vor, muss die auslösende Ursache entsprechend therapiert werden. Handelt es sich um einen primären Tic, ist es wichtig, den Patienten und dessen Angehörige genauestens über die Störung und verstärkende Faktoren aufzuklären. Außerdem kann es sinnvoll sein, mit Lehrern oder Ausbildern über die Tic-Störung zu sprechen, um für mehr Verständnis zu sorgen.

Zur Behandlung eines primären Tics stehen mehrere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Dazu gehören

Dabei kommen Psychopharmaka wie Haloperidol, Tiaprid und Pimozid zum Einsatz. Diese verfügen über die Eigenschaft, die Dopaminrezeptoren im Gehirn zu blockieren.

Eine dauerhafte Heilung von chronischen Tic-Störungen ist bislang nicht möglich. Sie lassen sich aber immerhin lindern.

Was kann man selbst tun?

Generell ist es so, dass sich ein Tic bei Stress meist verstärkt. Es gilt also, Stressfaktoren zu beseitigen. Dies ist besonders im Arbeitsumfeld ein wichtiger Rat.

Manchmal kommt der Stress jedoch auch von innen. Eine solche ungünstige Einstellung kann mithilfe der kognitiven Verhaltenstherapie verändert werden. Als besonders hilfreich haben sich regelmäßige Meditationssitzungen erwiesen.

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