Entstehung, Zweck und Arten von Mutproben
Bei einer Mutprobe wird das Wagnis, eine persönliche Angstschwelle zu überwinden, herausgefordert. Meist sind es die spektakulären und gefährlichen Mutproben, wie etwa das S-Bahn-Surfen, die in den Blickpunkt von Medien und Öffentlichkeit geraten. Es gibt jedoch auch deutlich harmlosere Varianten, die einen Jugendlichen sogar in seiner persönlichen Entwicklung voranbringen können. Lesen Sie über die Entstehung, den Zweck sowie die Arten von Mutproben.
Was macht eine Mutprobe aus?
Bei einer Mutprobe handelt es sich um das Herausfordern einer Wagnisbereitschaft. Jemand wird dabei herausgefordert, etwas zu tun oder zu sagen, und damit seine Angstschwelle zu überwinden. Diese gilt es natürlich, zu treffen, sodass die Art der Mutprobe ganz unterschiedlich ausfallen kann.
Typisch für eine Mutprobe ist ihr provozierender Charakter. Eine Handlung wird ausgeführt oder verweigert, generell kann etwas getan oder auch unterlassen werden.
Ob sich jemand auf eine Mutprobe einlässt oder diese verweigert, hängt vom Wesenstyp des Menschen ab. Somit gibt es den Wagnissucher sowie den Wagnismeider; in der Fachsprache spricht man von Philobaten und Onophilen.
Ob es um einen Spaziergang nachts auf dem Friedhof geht oder darum, als Mädchen einen unbekannten Jungen anzusprechen: Allen Mutproben gemeinsam ist die Überwindung von Gefühlen
Mit einer Mutprobe kann ein Jugendlicher sowohl sich selbst als auch einer Gruppe etwas beweisen und Anerkennung von außen erzielen. Darüber hinaus kann auch ein gestärtes Selbstbewusstsein die Folge einer erfolgreich absolvierten Mutprobe sein.
Verschiedene Arten von Mutproben
Man kann Mutproben nach verschiedenen Kriterien unterschieden; sehr häufig wird jedoch die Einteilung nach Raithel herangezogen. Raithel unterscheidet
- Verletzungs- beziehungsweise Schmerzmutproben
- konventionsbrechende/sanktionsriskante Mutproben
- Ungewissheitsmutproben sowie
- Scham-/Ekelmutproben.
Zu den Verletzungs- und Schmerzmutproben gehören zum Beispiel
- Sprünge aus großer Höhe
- Klettermutproben sowie
- isämtliche Mutproben im Bereich Straßen- und Bahnverkehr.
Konventionsbrechende oder sanktionsriskante Mutproben spielen sich im Bereich zwischen Klingelstreich und kriminellem Verhalten ab. Ungewissheitsmutproben zeichnen sich dadurch aus, dass Gefühle der Unsicherheit, etwa bei Dunkelheit, überwunden werden müssen, während Scham-/Ekelmutproben entweder auf soziale Angst oder auf Ekelgefühle abzielen.
Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen
Hinsichtlich der Art der gewählten oder geforderten Mutproben unterscheiden sich Jungen und Mädchen. Während Jungen sich meist körperbetonten Mutproben unterziehen, mit denen ein Verletzungsrisiko einhergeht, sind auf soziale Ängste bezogene Mutproben, speziell im erotischen Bereich, eher eine Domäne der Mädchen - das klassische Beispiel ist das Küssen eines bestimmten Jungen. Mädchen absolvieren zudem eher verdeckte Mutproben, etwa den Besuch einer Disko unterhalb der Altersgrenze.
Mögliche Motive für eine Mutprobe
Bezüglich der möglichen Motive für eine Mutprobe muss festgehalten werden, dass selten nur ein einziger Grund ausschlaggebend ist: Der Gruppendruck spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Suche nach Selbstbestätigung oder das schlichte Bedürfnis nach "Spaß".
Zu den verschiedenen Motiven, aus denen heraus eine Mutprobe entstehen kann, zählt
- eine Unterhaltung (z.B. beim Gesellschaftsspiel oder Zeitvertreib)
- der Wunsch nach Wertverwirklichung
- ein Aufnahmeritus einer Clique
- der Wunsch nach Prestige
- der Wunsch nach neuen Erfahrungen
- die Erkundung von Grenzen (Selbsterfahrung)
- die Erweiterung von Kompetenzen (neue Erlebnisse)
- die Angstbekämpfung
- die Suche nach Abenteuern
Die Bedeutung der Gruppe
Mutproben entstehen fast immer aus einer Gruppensituation heraus, Jugendliche werden also von anderen zu einer Mutprobe aufgefordert. Dabei kann es sich um eine Art Aufnahmeprüfung handeln, die absolviert werden muss, um der Gruppe anzugehören.
Die Mutprobe ähnelt in solchen Fällen den Initiationsriten traditioneller Gesellschaften. Genauso ist es jedoch möglich, dass die Mutprobe dazu dient, innerhalb der bestehenden Gruppe Prestige zu gewinnen und die eigene Stellung dort zu festigen.
Sich selbst erproben
Auch wenn andere Jugendliche anwesend sind und eventuell Impulse zu einer Mutprobe geben, gibt es auch einige Motive, die eher mit dem eigenen Selbstbild und Selbstwertgefühl des Jugendlichen zu tun haben. Es geht bei der Mutprobe dann nicht zuletzt auch darum, sich selbst zu erproben, die eigenen Grenzen zu überwinden und sich etwas zu beweisen.
Langeweile und Spaß
Sehr häufig ist jedoch auch der Spaß-Faktor die treibende Kraft hinter der Mutprobe: Jugendliche wollen
- Neues ausprobieren
- einen "Kick" verspüren
- Abenteuer erleben und
- sich neue Erlebnisräume erschließen.
Nicht selten entsteht eine Mutprobe aus einem Partyspiel wie "Trau dich oder bekenne" beziehungsweise "Wahrheit oder Pflicht" heraus. Auch die von Jugendlichen häufig benannte Langeweile zählt zu diesem Motivkomplex.
Mutproben und Adoleszenz
Dass Mutproben vor allem bei Kindern und Jugendlichen im Alter von etwa acht bis 17 Jahren von Bedeutung sind, ist kein Zufall: In dieser Lebensphase geht es darum, sich selbst zu finden und die eigene soziale Rolle zu festigen.
Dazu gehören auch
- Erfahrungen der Selbstüberwindung
- das Bewältigen von Herausforderungen
- das Entdecken der eigenen Fähigkeiten und
- das Erkunden der eigenen Grenzen.
All dies vermag eine Mutprobe durchaus zu leisten. Auch die riskanten Varianten der Mutprobe sind altersgemäß: Kinder und Jugendliche neigen dazu, sich selbst für unverwundbar zu halten beziehungsweise mögliche Gefährdungen nur für andere zu erkennen, während sie in Bezug auf sich selbst nach dem Motto "Mir passiert schon nichts" verfahren.
Beispiele für Mutproben
Eine Mutprobe fordert Jugendliche auf psychischer, physischer, sozialer und mentaler Ebene heraus. Auch wenn meist mehrere Ebenen zusammenspielen, können diese verschiedenen Ebenen auch dazu dienen, Mutproben zu unterscheiden.
Verschiedene Ebenen der Herausforderung
- Liegt die Herausforderung einer Mutprobe vor allem auf physischer Ebene, geht es beispielsweise darum, mögliche Schmerzen zu ertragen oder Ekelgefühle zu überwinden.
- Auf der psychischen Ebene findet eine Konfrontation mit Gefahren und Risiken statt,
- auf der mentalen Ebene muss sich der betroffene Jugendliche einer Prüfungs- oder Wettbewerbssituation stellen.
- Die soziale Ebene betrifft sämtliche Aspekte einer Mutprobe, die in Beziehung zu anderen Menschen stehen.
Eine bestimmte Mutprobe lässt sich nicht immer eindeutig einem der vier Bereiche zuordnen. Geht es zum Beispiel darum, über einen Bach zu springen, handelt es sich mit Gewissheit um eine körperliche Herausforderung
Gleichzeitig jedoch muss auf der psychischen Ebene die Angst vor einer Verletzung überwunden werden. Die folgende Zuordnung einzelner Mutproben erfolgt deshalb aufgrund der Frage, welche Ebene der Herausforderung dominiert.
Mutproben mit Schwerpunkt auf der physischen Ebene
Mutproben mit physischem Schwerpunkt sind beispielsweise alle sportlichen Mutproben - die Bandbreite reicht dabei
- vom Bungee-Sprung
- über die Bewältigung eines Kletter-Parcours
- bis zum Sprung vom Fünf-Meter-Turm im Schwimmbad.
Auch Balanceakte über ein Brückengeländer oder das Dach zählen zu diesem Bereich, ebenso die meisten Mutproben aus dem Bereich des Straßen- und Bahnverkehrs, also etwa das Car-Rafting oder das S-Bahn-Surfen, oder auch diverse Ekel-Mutproben, zu deren Klassikern das Verspeisen eines Regenwurms und der direkte Hautkontakt mit einer Spinne zählen.
Mutproben mit Schwerpunkt auf der psychischen oder mentalen Ebene
Ein gutes Beispiel für Mutproben mit psychischem beziehungsweise mentalem Schwerpunkt ist der nächtliche Spaziergang über einen Friedhof: Hier besteht keine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit, stattdessen müssen Ängste vor dem Alleinsein und der Dunkelheit oder eine mögliche Gespensterfurcht bewältigt werden.
Die Angst vor dem Erwischtwerden ist bestimmend bei regelverletzenden oder kriminellen Mutproben. Beispiele sind etwa der klassische Klingelstreich, aber auch der Einbruch in Schwimmbad oder Schulgebäude oder das Stehlen eines Fahrrades, eines Autos oder auch nur eines Lippenstiftes. Auch wer im Rahmen einer Mutprobe zum ersten Mal raucht, Alkohol trinkt oder Drogen konsumiert und damit gegen ein Verbot verstößt, absolviert eine Mutprobe mit Schwerpunkt auf psychischer und mentaler Ebene.
Mutproben mit Schwerpunkt auf der sozialen Ebene
Zum Bereich der Mutproben mit sozialem Schwerpunkt zählen die klassischen Mädchen-Mutproben, also etwa einen Jungen anzusprechen oder ihn zu küssen. Überwunden werden muss hier die soziale Angst vor Ablehnung und einer Blamage.
Auch ein Konventionsbruch in der äußeren Erscheinung erzeugt soziale Angst. Beispiele sind etwa ein Spaziergang durch die Stadt in einem auffälligen Kostüm, ein Schulhof-Flitzen in Unterwäsche oder das Färben der Haare in einem ungewöhnlichen Farbton.
Mutproben ablehnen
Mutproben können, müssen aber nicht unbedingt einen gefährlichen Charakter aufweisen. So oder so - wenn jemand sie nicht ausführen möchte, kann in manchen Situationen auch die Verweigerung zur wahren Mutprobe werden. Nein zu sagen, fällt vielen Menschen schwer, ob nun im Kindesalter oder als Erwachsener.
Besonders jedoch der Nachwuchs, der etwa unbedingt ein Teil einer Gruppe sein möchte, wird sich damit besonders schwertun. Möglicherweise kann eine Mutprobe auch dabei helfen, Risiken richtig einzuschätzen und mögliche Gefahren zu erkennen. Geht es schief, wird man in den seltensten Fällen noch einmal auf diese Art und Weise handeln.
Generell testen Kinder gerne ihre Grenzen und sind neugierig. Doch unter dem Druck einer Gruppe können sie schon mal ein Wagnis eingehen, welches mit gefährlichen Folgen behaftet ist.
In einer solchen Situation steht das Beeindrucken der Freunde im Vordergrund. Hier als Eltern einzugreifen, ist nicht unbedingt immer leicht oder gar möglich. Wichtig ist, stets mit seinem Kind zu sprechen und gegebenenfalls nach ungefährlichen Möglichkeiten zu suchen, die es nutzen kann, um seinen Mut zu erproben.
Sein Kind vor Mutproben schützen
Wenn es um die Gefährdung der Gesundheit oder kriminelle Handlungen geht, ist es natürlich unumgänglich, als Elternteil einzugreifen. Hier ist das Problem, dass Eltern nunmal nicht immer wissen, was ihre Kinder gerade treiben. Die Clique gut einschätzen zu können, und mögliche Gefahren abzusehen, wäre der wichtigste Schritt, seinen Nachwuchs zu schützen.
Eine weitere Herausforderung liegt darin, sein Kind durch übertriebene Kontrolle nicht einzuschränken. Dies kann zudem nach hinten losgehen, da es sich ermutigt fühlen wird, aus Trotz unüberlegt zu handeln.
Mit seinen Kindern im Gespräch zu bleiben, ist daher das A und O. So merkt man schnell, wenn Schwierigkeiten im Freundeskreis bestehen und/oder sie sich wegen irgendetwas unsicher fühlen.