Funktion und Bedeutung der Yantra-Tätowierung

Die Yantra-Tätowierung wird in verschiedenen ostasiatischen Ländern mit einem angespitzten Bambusstab unter die Haut gebracht. Als Färbemittel kommt chinesische Tinte zum Einsatz, die häufig mit organischen Substanzen angereichert wird. Das Yantra-Tattoo hat in Ostasien eine ähnliche Bedeutung wie in Europa der Talisman.

Von Jens Hirseland

In einigen Ländern Ostasiens ist die Yantra-Tätowierung bekannt. Sie wird traditionell in Kambodscha, in Thailand und Laos getragen. Man geht davon aus, dass sie ihren Ursprung im Khmer-Reich hat, dessen buddhistische Züge die Zeit zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert prägten. Auch in China und Singapur hat sie inzwischen Einzug gehalten.

Instrumente und das Ritual des Tätowierens

Bei der Yantra-Tätowierung werden geometrische Figuren gestochen, welche mit Schriftzeichen versehen werden. Sie sollen auf die physischen Kräfte des Tätowierten wirken.

Die Tätowierung nimmt ein besonders anerkannter Tätowier-Lehrer mittels eines traditionell verwendeten Bambus-Stabes vor. Er muss als buddhistischer Mönch oder als Heiler ausgebildet sein beziehungsweise andere magische Fähigkeiten besitzen, um diese Arbeit ausführen zu dürfen.

Der Bambus-Stab ist relativ lang und angespitzt. Seltener wird eine Metallspitze verwendet.

Das Tätowieren selbst gleicht einer rituellen Handlung. Bevor der Stechvorgang beginnt, räuchert der Tätowier-Lehrer den Raum aus und verbrennt heilige Kräuter. Dann werden die Motive und Schriftzeichen ausgewählt. Sie reichen über einfache Muster bis hin zu aussagekräftigen größeren Ornamente. Es kommt darauf an, welche Wirkung die Zeichnung erzielen soll.

Grundsätzlich geht es darum, den Tätowierten vor negativen äußeren Einflüssen zu schützen. Soldaten lassen sie sich beispielsweise stechen, bevor sie in den Krieg ziehen. Ansonsten können die Motive auch das Glück symbolisieren, so dass sie sich mit einem hierzulande gebräuchlichen Talisman vergleichen lassen.

Zur Färbung des Motivs wird nur selten ausschließlich dicke chinesische Tinte verwendet. Vielmehr reichert der Tätowier-Lehrer sie mit unterschiedlichen Substanzen an, welche einen magischen Effekt ausüben sollen. Um Stärke zu symbolisieren, wird die Tinte mit der Gallenflüssigkeit des Gegners oder mit anderen organischen Substanzen vermischt.

Das Tätowieren selbst geschieht in einem Tempel im Rahmen einer Zeremonie. Damit die Tätowierung ihre Wirkung entfalten kann, wird sie durch den Tätowier-Lehrer, eventuell sogar durch mehrere Mönche des Klosters eingeweiht. Dies kann so geartet sein, dass das Tattoo mit einer Flüssigkeit besprengt wird oder dass es durch starke Schläge mechanisch gereizt wird. Außerdem trägt der Tätowier-Lehrer besondere Sprüche vor.

Weltweite Offenheit und kulturelle Fruchtbarkeit

Obwohl die Yantra-Tätowierung eine sehr religiöse Angelegenheit ist, muss sie nicht zwangsläufig auf eine einzige Glaubensrichtung konzentriert sein. Allein die Schriftzeichen sind eine Mischung aus der Palischrift und der Schreibweise der alten Khmer. Daneben können Symbole und Motive zum Einsatz kommen, die sich unterschiedlichen Kulturen zuordnen lassen.

Auch hinduistische Einflüsse können bei der Yantra-Tätowierung nicht geleugnet werden. Es ist auch gar nicht notwendig, das Augenmerk ausschließlich auf eine religiöse Einstellung zu legen. Vielmehr soll diese Form der Tätowierung ein Ausdruck für die weltweite Offenheit und für kulturelle Fruchtbarkeit sein.

Wer sich für die Yantra-Tätowierung interessiert, kann sich in speziellen Büchern informieren, die es seit Beginn des 19. Jahrhunderts gibt.