Familienaufstellung - Idee, Ziele, Ablauf und Kritik

Bei einer Familienaufstellung handelt es sich um eine alternativmedizinische Therapiemethode. Dabei wird sich der Patient bewusst, welche Beziehung er zu den verschiedenen Angehörigen seiner Familie hat. Die Familienaufstellung nach Bert Hellinger wird im Gegensatz zur modernen Variante in einigen Punkten kritisiert. Lesen Sie über die Idee, die Ziele sowie den Ablauf der Familienaufstellung.

Von Jens Hirseland

Idee der Familienaufstellung

Psychische Probleme wie Ängste, Aggressivität oder Alkoholsucht können mitunter die Folge von familiären Verstrickungen sein. Oftmals sind sich die betroffenen Personen dessen gar nicht bewusst. Durch die systemische Familienaufstellung besteht die Möglichkeit, sich dieser Thematik auf einfache Weise anzunähern und Lösungen zu finden.

Wichtig ist, zwischen klassischer Familienaufstellung nach Hellinger und moderner Systemaufstellung zu unterscheiden.

Entwickelt wurde die Familienaufstellung gegen Ende der 70er Jahre von dem deutschen Psychoanalytiker Bert Hellinger. Dabei griff er auf Methoden der systemischen Familientherapie zurück und kreierte seine eigene Vorstellung einer Lebenshilfemethode, bei der es sich um Gruppenarbeit handelt.

Hellinger vertritt die Auffassung, dass es unter sämtlichen Mitgliedern einer Familie emotionale Bande gibt, die sie miteinander verknüpfen. Kommt es zu Störungen dieser Familienbande aufgrund von abgerissenen Kontakten oder Hass, besteht dadurch die Gefahr von psychischen Problemen und Erkrankungen bei den betroffenen Familienmitgliedern.

Nach Ansicht von Bert Hellinger herrscht innerhalb jeder Familie eine strenge Hierarchie, an deren

  1. erster Stelle der Mann steht.
  2. Nach ihm folgen seine Frau sowie
  3. die Kinder.

Wird nun ein Familienangehöriger aus dieser konservativen Ordnung ausgeschlossen, droht das Entstehen von Krankheiten, weil die Seele der Familie Schäden davonträgt. So würden sich nahe Angehörige oder spätere Nachkommen oftmals mit den Ausgeschlossenen identifizieren. Dadurch entwickeln sich wiederum Erkrankungen psychischer Natur, aber auch körperliche Krankheiten, zu denen Allergien und sogar Krebs gehören.

Eltern mit zwei Kindern
Nach Hellinger herrscht in jeder Familie eine strenge konservative Ordnung

Ziel der Familienaufstellung

Ziel der Familienaufstellung ist es, den einzelnen Mitgliedern einer Familie dabei zu helfen, ihren vorgesehenen Platz im Familiensystem einzunehmen. Auf diese Weise wird das Wohlbefinden der einzelnen Angehörigen gefördert.

Gelingt die Wiederherstellung der natürlichen Familienordnung, lässt sich auch die Krankheitsproblematik lösen. Um dies zu erreichen, bedarf es nach Hellingers Auffassung einiger Zwischenschritte.

Ordnung der Liebe

Eine bedeutende Rolle in Hellingers Familienaufstellung spielt die Ordnung der Liebe. Darin genießen die innerhalb der Familie höher angesiedelten Menschen Vorrang im System und müssen respektvolle Wertschätzung erhalten. So kommen die Kinder hinter ihren Eltern. Während die Eltern geben, nehmen die Kinder.

Dies klingt eigentlich selbstverständlich, doch sind viele Eltern aufgrund von Schicksalsschlägen oft nicht in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. Daher müssen die betroffenen Kinder ihnen oft helfen und manchmal sogar die Rolle der Eltern einnehmen. Die Kinder tun dies meist entweder aus Liebe zu ihren Eltern oder um selbst überleben zu können. Da dieses Muster häufig im späteren Leben fortbesteht, sind die Kinder nicht frei für ein eigenes Leben oder eine eigene Familie. Manchmal wenden sie sich sogar verbittert ab.

Von Wichtigkeit sind außerdem ausgeschlossene Familienmitglieder. Deren Ausschluss überträgt sich mitunter auf deren Nachkommen, sodass diese ein ähnliches Verhalten aufweisen wie ihre Eltern.

Ablauf der Familienaufstellung nach Hellinger

Für eine Familienaufstellung sind etwa sechs bis zehn fremde Menschen sowie ein qualifizierter Aufstellungsleiter erforderlich, die sich in einem geschützten Raum treffen. Durchgeführt wird eine Familienaufstellung in der Regel in Gruppen, die zwischen 10 und 20 Personen groß sind.

Hat jemand die Absicht, eine persönliche Thematik vornehmen zu lassen, kann er sich für eine Aufstellung melden. Dazu wird er vom Aufstellungsleiter zu

  • seinem Anliegen
  • seiner Situation sowie
  • seinem System

befragt.

Teilnehmer sitzen im Kreis

Der Aufsteller hat die Aufgabe, die Problematik zu erklären. Anschließend trifft er unter den Anwesenden eine Auswahl verschiedener Vertreter der Herkunfts- oder Gegenwartsfamilie, die im Raum an verschiedenen Stellen Plätze einnehmen.

Auch der Klient selbst erhält einen Stellvertreter. Dieser steht für sein Ich.

Durch das intuitive Aufstellen von Stellvertretern kann der Klient quasi sein inneres Bild nach außen aufstellen. Im Rahmen der systemischen Aufstellungsarbeit geht man davon aus, dass sich eine Symptomatik zu den einzelnen Familienmitgliedern entwickeln lässt. Dabei werden die System-Relationen innerlich distanziert wahrgenommen, weil sie von außerhalb kommen.

Bert Hellingers klassische Familienaufstellung greift meist auf eine Bühne zurück, auf die eine Person gebeten wird. Nächster Schritt ist, dass der Therapeut dieser Person Fragen zum Lebenshintergrund sowie deren Problemen stellt.

Auf diese Weise sollen Familienmitglieder gefunden werden, die sich innerhalb der Familie "missachtet" oder "ausgeschlossen" fühlen. Dabei kann es sich auch um einen geschiedenen Partner, ein abgetriebenes Kind oder einen früh verstorbenen Großvater handeln. Durch das Befragen der Person ist der Therapeut häufig in der Lage, eine Form der Diagnose zu erstellen.

Danach beginnt die eigentliche Familienaufstellung. Dabei wählt der Ratsuchende die Anwesenden als "Stellvertreter" seiner Familienangehörigen aus und weist ihnen intuitiv bestimmte Plätze innerhalb des Raums zu. Von dem Therapeuten werden die Stellvertreter zu ihren Gefühlen und Eindrücken befragt.

Nicht selten fallen die Gedanken der Stellvertreter ähnlich aus wie die der echten Angehörigen. Sogar starke emotionale Ausbrüche sind im Bereich des Möglichen. Zum Beispiel können die Stellvertreter schreien, weinen oder sogar einen Zusammenbruch erleiden.

Repräsentierende Wahrnehmung

Die Stellvertreter entwickeln aus ihrer Lage heraus Gedanken und Gefühle, die den repräsentierten Personen der Familie gelten. Man nennt dieses Phänomen auch repräsentierende Wahrnehmung. Auf diese Weise werden die Verwandten des Klienten zu psychisch anwesenden Personen.

Dabei kommt es auch zu Verstrickungen.

  • So können Aufgaben zutage treten, die dem Klienten unbewusst aufgedrängt wurden und sein Leben dysfunktional prägen.
  • Ebenso ist es jedoch auch möglich, dass vom Klienten diese Systematik unbewusst selbst entwickelt wurde.

Im Rahmen der Aufstellungsarbeit ist es möglich, diese Muster nachzuvollziehen und zu verändern. Damit es nicht zu einer falschen Fährte kommt, erfolgen bei Familienaufstellungen in der Regel Offenlegungstests, die zur Kernsystemdynamik gehören.

So besteht der Ablauf der Aufstellungsarbeit aus drei Schritten.

  1. Zuerst wird der Klient nach der Symptomatik sowie zu den Vorgängen in seiner Familie befragt.
  2. Danach erfolgt die Offenlegung, bei der die Kernsystemdynamik getestet und Loyalitätsbezüge veranschaulicht werden.
  3. Schließlich findet die Lösung des Problems statt. Dazu ist es jedoch wichtig, dass das Anliegen des Klienten ernsthaft ist.

Das wissende Feld

Nach Ansicht von Bert Hellinger ist ein sogenanntes "wissendes Feld" für die Wahrnehmungen der Stellvertreter verantwortlich. Durch die zugewiesene Position im Rahmen der Aufstellung kann der Stellvertreter auf die Empfindungen des Familienangehörigen, den er repräsentiert, zurückgreifen. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Familienmitglied noch lebt oder bereits tot ist.

Im weiteren Verlauf stellt der Therapeut die Stellvertreter so lange um, bis sie sich an dem anderen Ort besser fühlen als zuvor.

Heilende Sätze

Der Schlusspunkt der Familienaufstellung wird gebildet durch das Sprechen von sogenannten "heilenden Sätzen" durch den Ratsuchenden. Diese gelten in erster Linie den Familienmitgliedern, die nicht geachtet oder sogar ausgeschlossen wurden. Durch diesen Ritus kann sich der Aufsteller mit den betroffenen Familienmitgliedern versöhnen, sie respektieren oder sie bitten, ihm zu verzeihen.

Mutter und Tochter umarmen sich
Versöhnung zwischen Mutter und Tochter

Kritik an der Familienaufstellung nach Hellinger

Der klassischen Familienaufstellung nach Hellinger schlug breite Kritik entgegen, die sowohl von Experten als auch von der Öffentlichkeit stammte. Im Jahr 2003 distanzierte sich zudem die Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellungen ausdrücklich von Hellingers Verfahren.

Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Methodik der klassischen Familienaufstellung. So geben deren Gegner zu bedenken, dass sich Hellinger als "allwissend" betrachtet und sich einer wissenschaftlichen Untersuchung seines Verfahrens verweigert. Durch die Kürze der jeweiligen Veranstaltungen entstehe der Eindruck, dass sich sogar gravierende Probleme rasch lösen lassen. Anstelle einer wissenschaftlichen Diagnostik trete eine Form von "Orakel". Außerdem werden die Familienaufstellungen von Hellinger derart inszeniert, dass es stets zu einer bestimmten Lösung kommt.

Die Wirkung der Stellvertreterwahrnehmung geht nach Auffassung der Kritiker auf triviale psychologische Effekte zurück. Dazu gehören:

  • Manipulation
  • Suggestion
  • Fehlinterpretationen

Qualifikation oft unzureichend

Des Weiteren verfügen zahlreiche Teilnehmer der Familienaufstellung nur über eine mangelhafte therapeutische Ausbildung. Mitunter lässt sich ihre Qualifikation schwer überprüfen. Einige Anbieter erwarben ihre Kenntnisse über die Familienaufstellung lediglich durch Teilnahme an Sitzungen, die von Bert Hellinger durchgeführt wurden. In manchen Fällen griffen sie auch nur auf dessen Lehrvideos zurück.

Kritik an der ethischen Vertretbarkeit der Familienaufstellung

Auch an der ethischen Vertretbarkeit der Therapiemethode wird Kritik geübt. So besteht keinerlei Einbindung der betroffenen Personen in eine längere Behandlung. Des Weiteren gibt es keine persönliche Beziehung zwischen Therapeut und Klient. Nicht selten bleibt dieser im Anschluss an die Familienaufstellung mit seinen intensiven Emotionen allein zurück. Dies gilt jedoch bei psychisch labilen Menschen als riskant.

Werden die Familienaufstellungen im Rahmen von Großveranstaltungen inszeniert, kann der Patient dadurch bloßgestellt werden, weil auf seine Gefühle niemand Rücksicht nimmt.

Weiterhin kommt es durch einige Therapeuten mitunter zu Interventionen, die unsensibel sind oder den Klienten sogar demütigen. In manchen Fällen müssen die Betroffenen sich hinknien und sich bei ihren Angehörigen entschuldigen. Dies gilt sogar dann, wenn sie Unrecht durch diese Familienmitglieder erfuhren.

Kein gesetzlicher Schutz des Begriffs "Familienaufsteller"

Bei den Begriffen "Familienaufsteller" oder "Systemaufsteller" handelt es sich nicht um gesetzlich geschützte Begriffe. Ferner benötigen die Anbieter weder eine Ausbildung zum Psychiater oder Psychotherapeuten noch eine Heilpraktiker-Erlaubnis, um eine Familienaufstellung offerieren zu dürfen.

Moderne Ansätze der Familienaufstellung

In der Vergangenheit gingen aus Hellingers klassischer Familienaufstellung weitere Therapieansätze hervor, die sich von der klassischen Form abgrenzen. Es wird zwar häufig auf Hellingers Therapieansatz aufgebaut, dabei jedoch eigene Schwerpunkte gesetzt. Diese orientieren sich an den modernen Methoden der psychosozialen Beratung oder Psychotherapie.

Des Weiteren bildeten sich Fachgesellschaften, die ethische Richtlinien sowie Qualitätskriterien entwickelten. Von besonderer Bedeutung sind dabei die:

  • DGfS (Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellungen)
  • ISCA (International Systemic Constellations Association)

Auf die DGfs gehen die Entwicklung der Weiterbildung sowie das Einführen von Qualitätsstandards zurück. Außerdem wird von ihr eine Datenbank angeboten, die geprüfte Systemaufsteller enthält. Darüber hinaus unterstützt die Gesellschaft die Forschungsarbeit an der Systemaufstellung.

Familienaufstellung durchaus hilfreich

Erfolgt die Beachtung bestimmter Grundregeln, kann sich eine Familienaufstellung durchaus hilfreich auswirken. Dabei sollten jedoch die Regeln der Psychotherapie Beachtung finden. Grundsätzlich ermöglicht die Familienaufstellung das neue Bewerten von problembehafteten Beziehungs- und Verhaltensmustern. Durch das gemeinsame Aufarbeiten mit dem Leiter der Aufstellung lassen sich alternative Muster und Verhaltensweisen finden, die als weniger problematisch gelten.

Durchführung einer modernen Familienaufstellung

Für eine moderne Familienaufstellung wird ein klar abgesteckter Raum für die Therapiesitzung benötigt. Außerdem bedarf es passender Objekte, die auch die Bezeichnung Modelle tragen.

Im Rahmen der Aufstellung wählt der Patient ein Modell aus, durch das er dargestellt wird und weist ihm einen Platz innerhalb des Raums zu. Anschließend fährt er mit der Auswahl weiterer Modelle fort, die jeweils ein bestimmtes Mitglied der Familie darstellen, und weist diesen ebenfalls einen bestimmten Platz zu. Der Patient muss dabei auf seine Gefühle achten, um dem Modell auch den passenden Platz zuzuordnen.

Art der Modelle

Welche Modelle bei einer Familienaufstellung zum Einsatz gelangen, ist unterschiedlich. Im Rahmen einer Familientherapie haben zum Beispiel Mitglieder der Familie die Möglichkeit, ihre reale Position einzunehmen. Ebenso denkbar ist aber auch eine symbolische Platzeinnahme durch fremde Personen oder Objekte wie Bälle oder Stofftiere.

Bei kleineren Kindern gelten Actionfiguren, Puppen oder Tierfiguren als sinnvoll. Diese werden von dem Kind beispielsweise auf einem Holzbrett angeordnet.

Art der Anordnung

Aus der Art wie der Patient seine Modelle anordnet, kann der Therapeut Hinweise auf die Beziehung zwischen Patienten und Angehörigen finden. Dabei achtet er darauf,

  • ob sich die Modelle zuwenden oder voneinander abwenden
  • wie weit die Modelle voneinander entfernt sind
  • ob es zu einer Gruppenbildung kommt
  • und an welcher Stelle der Patient innerhalb der Familie steht

Vor- und Nachteile der Familienaufstellung

Vorteile

Die Familienaufstellung weist den Vorteil auf, dass sie die Strukturen einer Familie sichtbar werden lässt. Auf diese Weise erhält der Patient eine Vorstellung über seine Beziehung zu den einzelnen Angehörigen. Dabei lassen sich auch Familienmitglieder einbeziehen, die bereits verstorben sind.

Grundsätzlich kann das Prinzip der Familienaufstellung auch auf andere Lebensbereiche ausgedehnt werden, die sich außerhalb der Familie befinden. Dazu gehören vor allem Freunde und Arbeitskollegen.

Nachteile

Ein Nachteil der Therapiemethode liegt darin, dass symbolisierende Objekte erforderlich sind. Zu diesem Zweck wird wiederum ein geeigneter Raum benötigt. Sollen reale Familienmitglieder an der Aufstellung teilnehmen, müssen sie verfügbar sein.

Risiken und Nebenwirkungen der Familienaufstellung

Nebenwirkungen ruft die Familienaufstellung nur selten hervor. Nehmen reale Familienmitglieder an ihr teil, gilt es, darauf zu achten, dass es nicht zu Aggressionen kommt. Diese könnten möglicherweise einen schädlichen Einfluss auf den Patienten haben.

In manchen Fällen führt die Familienaufstellung auch zu starken psychischen Belastungen. Dadurch drohen unerwünschte Nebeneffekte wie:

Diese Veränderungen müssen vom Therapeuten erkannt und abgefangen werden. Falls nötig, sollte der Therapeut die Sitzung abbrechen.

Fazit

Die Familienaufstellung lässt sich nicht als eigenständige Therapie betrachten. Vielmehr stellt sie einen Baustein dar, den es in eine Behandlung einzubetten gilt, die durch professionelle Fachkräfte erfolgt. In solchen Fällen ist es möglich, wertvolle Erkenntnisse über das Familiensystem zu gewinnen.