Nicht so zuverlässig wie man glaubt: Erinnerungen verändern sich ständig

Erinnerungen können leicht ihre Gestalt verändern und das tatsächlich Erlebte überschreiten

Von Cornelia Scherpe
21. Dezember 2015

Wer gebeten wird, sich an ein früheres Ereignis zu erinnern, der geht in sich und hat dann oft ein ziemlich klares Bild vor dem geistigen Auge. Viele Menschen glauben daran, dass ihre Erinnerungen wie auf einer Festplatte abgespeichert sind und man sie nur reaktivieren muss.

Erinnerungen sind nicht zuverlässig - und das hat seinen Grund

Doch Hirnforscher zeigen immer deutlicher, dass unsere Erinnerungen alles andere als zuverlässig sind. Sie befinden sich bei jedem Abruf in der Gefahr, dauerhaft und ohne bewusstes Zutun, ihre Gestalt zu ändern und als falsche Erinnerung das Erlebte zu überschreiben.

Warum das Gehirn dies tut, geht auf unsere Lebensweise zurück. Der Mensch muss

  • sich beständig seiner Umgebung anpassen,
  • Erfahrungen sammeln und
  • Wissen anhäufen.

Nur ein wandelbares Gehirn bringt uns weiter.

Wir betrachten Erinnerungen mit dem aktuellen Ich

Aktivieren wir nun eine Erinnerung, betrachten wir sie nicht mehr mit den Gedanken und Gefühlen von früher, sondern mit unserem aktuellen Ich. Dabei kann neu erworbenes Wissen in die Erinnerung einfließen und sie dauerhaft modifizieren.

Ein Beispiel: Man erinnert sich an einen Fahrradausflug in der Kindheit. Gemeinsam mit einer guten Freundin war man damals unterwegs. Trifft man nun Jahre später diese Person und erfährt, dass ihre neue Lieblingsfarbe Blau ist, kann sich die Erinnerung so verändern, dass man ab jetzt beim Zurückdenken die Freundin im blauem Shirt auf dem Fahrrad sieht.

Zeugenerinnerungen können leicht manipuliert werden

Was bei Details weniger drastisch ist, kann für die Justiz weitreichende Folgen haben. Zeugenerinnerungen sind demnach nicht so zuverlässig, wie man oft annimmt.

Man manipuliert einen Zeugen schnell, wenn man ihn mit ungünstigen Worten fragt, wie ein Auffahrunfall sich ereignet hat. Nutzt man das Verb "hineinkrachen" statt "aufgefahren" weckt man Gedanken an besonders schnelles Fahren und schon glaubt der Zeuge sich zu erinnern, dass das Auto zu schnell unterwegs war.