Selbsterfüllende Prophezeiung: Warum Jungen schlechter Lesen

Studie macht deutlich, welch weitreichende Folgen fest verankerte Stereotyisierungen haben können

Von Cornelia Scherpe
12. Mai 2016

Im Zusammenhang mit Pisa und der Schulbildung hört man immer wieder von der sogenannten "Leselücke". Das Wort beschreibt die Beobachtung, dass unter gleichaltrigen Mädchen und Jungen eine Lücke klafft, wenn es um die Lesefähigkeit geht. Mädchen fällt es leichter, einen Text zu erfassen.

Ihre Lesekompetenz liegt im Alter von 15 Jahren ungefähr ein Schuljahr vor dem der Jungen. Manche vermuten, dass dieser Geschlechterunterschied biologische Gründe hat, doch Studien wie die jüngste Untersuchung aus Frankreich zeigen eher: Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Druck durch Erwartungssituationen

Die Forscher arbeiteten mit Kindern in der dritten Klasse. Alle bekamen eine Liste mit Wörtern, darunter verschiedene Tiernamen. Nun sollten alle Jungen und Mädchen in einer festgelegten Zeit so viele Tiere wie möglich entdecken und unterstreichen.

  1. In der Ausgangssituation wurde das Experiment von den Lehrern als Test angekündigt. Wie erwartet, schnitten die Mädchen besser als die Jungen ab.
  2. In einem Gegenversuch wurde das Experiment als Spiel präsentiert, das statt dem Unterricht gespielt wird. Nun schnitten Jungen und Mädchen gleich gut ab.

Vor dem Experiment hatte man alle Kinder im spielerischen Gespräch gefragt, ob sie gern lesen. Dabei hatte es auch einige Jungen gegeben, die offenbar das Lesen mochten. Sie schnitten jedoch in der "Prüfungssituation" dennoch schlechter als Mädchen ab.

In der "Spielsituation" waren sie dann allerdings oft sogar besser als Mitschülerinnen. Damit zeigt sich, dass in ernsten Erwartungssituationen offenbar die unbewusste Erwartung, man müsse schlechter als Mädchen sein, zu Stress führt.

Selbstgemachte Vorurteile

Mädchen sind schlechter in Mathe, Jungen dafür schlechter im Lesen. Diese beiden Stereotypen sind in vielen Köpfen fest verankert. Genau dieser Umstand führt dazu, dass bereits die Jüngsten durch

mit den vermeintlichen Tatsachen konfrontiert werden. Das Ergebnis: Mädchen finden Mathe blöd, Jungen das Lesen und man beschäftigt sich lieber mit dem, was "alle Freundinnen" oder "alle Kumpels" besser können. So wird aus den selbstgemachten Vorurteilen eine selbsterfüllende Prophezeiung.