Retikulozyten - Werte, Funktion und Störungen

Retikulozyten sind unreife, so genannte jugendliche rote Blutkörperchen, die im Knochenmark gebildet werden. Von dort wandern sie ins Blut, wo sie schließlich zu reifen Erythrozyten werden. Die Messung der Retikulozytenwerte ist vor allem bei der Diagnose einer Anämie von Bedeutung, da die Werte Aufschluss über eine zu geringe oder erhöhte Erythropoese (Erythrozytenbildung) geben. Lesen Sie in diesem Artikel alles Wichtige über die Retikulozyten.

Von Jens Hirseland

Retikulozyten - Merkmale und Funktion

Bei den Retikulozyten handelt es sich um noch unreife Erythrozyten (rote Blutkörperchen), die im Knochenmark entstehen. Ihr Anteil am Blut fällt gering aus. Aufgrund von Blutverlust oder Mangel an Sauerstoff kann es jedoch rasch zum Anstieg der Retikulozyten kommen.

Im Unterschied zu den reifen roten Blutkörperchen sind die Retikulozyten teilweise noch mit Erbinformationen (RNA) ausgestattet. Außerdem enthalten sie ein Netz aus Ribosomen (Retikulum), durch das die jugendlichen roten Blutkörperchen ein netzförmiges Aussehen erhalten, das sich unter einem Mikroskop erkennen lässt. Das Retikulum ist ferner für verschiedene Zellstoffabläufe von Bedeutung.

Entstehung und Aufbau der Retikulozyten

Die Retikulozyten bilden sich im Knochenmark. Schon rasch gelangt ein Teil von ihnen in den Blutkreislauf. Ihre Heranreifung findet anschließend im zirkulierenden Blut statt.

Nach etwa ein bis zwei Tagen stoßen die Retikulozyten ihre RNA sowie die restlichen Zellorganellen ab. Dadurch werden sie zu voll ausgereiften roten Blutkörperchen. Ihre Lebensdauer beträgt im Durchschnitt 120 Tage.

Im Rahmen von Laboruntersuchungen können die Retikulozyten durch spezielle Färbeverfahren gut voneinander unterschieden werden. Als typisches Kennzeichen der jungen Erythrozyten gilt vor allem ihre netzartige Struktur, der sie auch ihren Namen verdanken.

So stammt der Begriff Retikulum aus dem Lateinischen und bedeutet in deutscher Übersetzung "Netz". Unter dem Mikroskop erscheinen die Retikulozyten ein wenig größer als die reifen roten Blutkörperchen.

Retikulozytenwerte

Die Messung der Retikulozyten erfolgt relativ im Verhältnis zur Anzahl der reifen roten Blutkörperchen. Der normale Retikulozytenwert von Erwachsenen liegt bei sieben bis 16 Promille. Der Referenzbereich beträgt 30.000 bis 80.000 Zellen je Mikroliter Blut.

Messung der Retikulozytenwerte

Die Bestimmung des Retikulozytenwertes ist unter gewissen Umständen sinnvoll. Dazu gehören in erster Linie:

Besonders bei einer Anämie ist der Retikulozytenwert von Interesse. Liegt ein erhöhter Wert vor, deutet dieser auf den Versuch des Körpers hin, gegen den Erythrozytenmangel durch die Abgabe unreifer roter Blutkörperchen vorzugehen. Fällt der Retikulozytenwert niedrig aus, gilt dies als Indiz für eine Blutarmut aufgrund einer Blutbildungsstörung.

Zu hohe Werte

Befindet sich eine größere Menge an Retikulozyten als üblich im Blut, lässt sich dies auf eine verstärkte Blutbildung zurückführen. Das bedeutet, dass die Blutbildung auf vollen Touren läuft.

Es ist durchaus möglich, dass die Regulation des Körpers dafür verantwortlich ist, was einen ganz normalen Vorgang bedeutet. Zum Beispiel stellt das Knochenmark nach intensiven Blutungen zur Regeneration verstärkt Erythrozyten her.

Gleiches gilt bei Schädigungen des Knochenmarks, sodass es sich anschließend wieder regeneriert. Die Folge davon ist ein zeitweiliger Anstieg der Retikulozytenanzahl im Blut.

Ebenso vergrößert sich die Menge an Retikulozyten, wenn zur Behandlung einer Anämie Arzneimittel, die Vitamin B12, Folsäure oder Eisen enthalten, dargereicht werden. In manchen Fällen steigt die Anzahl der jungen roten Blutkörperchen an, weil eine chronische Unterversorgung mit Sauerstoff besteht oder die roten Blutkörperchen verstärkt abgebaut werden.

Zu niedrige Werte

Eine niedrige Menge an Retikulozyten ist ein Signal, dass die Blutproduktion nicht normal abläuft. Dadurch verringert sich auch die Anzahl der jungen roten Blutkörperchen, sodass weniger von ihnen ins Blut gelangen, was sich wiederum senkend auf den Wert auswirkt. Von einem niedrigen Retikulozytenwert sprechen die Mediziner, wenn der Reti-Blutwert auf weniger als drei je 1000 Erythrozyten absinkt.

Ursachen für einen niedrigen Retikulozytenwert

Die Anzahl an Retikulozyten kann zum Beispiel sinken, wenn sich der Betroffene länger in einem Hochgebirge aufhält und dann wieder in seine gewohnte Umgebung auf niedrigerer Höhe zurückkehrt. So fällt im Gebirge der Anteil an Sauerstoff in der Luft geringer aus.

Dadurch sind im Blut mehr Retikulozyten vorhanden als benötigt werden. In den ersten Tagen nach der Rückkehr in die gewohnte Umgebung geht die Blutherstellung leicht zurück, sodass sich auch der Anteil an Retikulozyten verringert.

Bedenklich ist dagegen ein Rückgang der Blutproduktion, ohne dass sich dieser Vorgang erklären lässt. Oft besteht dann eine Anämie, die durch einen Mangel an Vitamin B12, Folsäure oder Eisen verursacht wird. Dadurch reduziert sich auch die Menge an Erythrozyten.

Bei manchen Menschen besteht zudem eine Störung des Wachstumshormons Erythropoetin (EPO). Es ist für das Steuern der Blutbildung verantwortlich. Das EPO wird auch häufig im Leistungssport zu Dopingzwecken missbraucht.

Mitunter entsteht ein niedriger Retikulozytenwert durch die Zufuhr von bestimmten Medikamenten wie beispielsweise Chemotherapeutika.

Als weitere denkbare Ursachen infrage kommen:

Was geschieht bei Veränderungen des Retikulozytenwertes?

Nicht immer sind Veränderungen des Retikulozytenwertes Grund zur Sorge. So kann es sich um natürliche Gegenmaßnahmen des Organismus aufgrund von Blutarmut oder intensiven Blutverlust handeln.

Bei dauerhaften Veränderungen ist eine regelmäßige ärztliche Kontrolle erforderlich. Lassen sich die Veränderungen nicht erklären, gilt es, ihrer Ursache auf die Spur zu kommen. Liegt eine auslösende Grunderkrankung vor, muss diese entsprechend behandelt werden, damit sich die Retikulozytenwerte wieder normalisieren.