Reinlichkeitszwang - Das zwanghafte Waschen des Körpers oder von Gegenständen

Unter einem Reinlichkeitszwang versteht man eine Form von Zwangsstörung. Dabei verspüren die Betroffenen den Drang, sich ständig zu waschen.

Von Jens Hirseland

Krankheitsbild

Zwangsstörungen gehören zu den psychischen Störungen. Bei einer Zwangsstörung müssen die betroffenen Personen ständig etwas Bestimmtes tun. Es gibt unterschiedliche Formen von Zwangsstörungen, zu denen auch der Reinlichkeitszwang gehört.

Von einem Reinlichkeitszwang oder Waschzwang spricht man, wenn ein Mensch den zwanghaften Drang hat, sich selbst oder bestimmte Gegenstände zu reinigen. So werden zum Beispiel ständig die Hände gewaschen, weil man Angst vor Keimen hat, die Krankheiten auslösen können.

Das Zwangsverhalten ist so stark, dass die Betroffenen nicht in der Lage sind, es zu unterlassen. Eine Zwangsstörung liegt vor, wenn

  • man es nicht schafft, sich dem Zwang zu widersetzen
  • man dem Zwang so viel Zeit einräumt, dass es zu starken Einschränkungen kommt
  • man sehr unter der Störung leidet

Gründe und typische Merkmale

Typische Motivation bei von Waschzwang betroffenen Menschen ist die Furcht vor Krankheitserregern wie Viren oder Bakterien oder vor Schmutz. Bei manchen Menschen spielt aber auch die Befreiung von sündigen Gedanken eine wichtige Rolle.

Für Reinlichkeitszwang gibt es einige charakteristische Merkmale. So denkt die betroffene Person ständig an Reinigung oder bestimmte Verhaltensweisen zum Reinigen von Gegenständen oder Körperteilen.

Zum Teil sehen die Betroffenen sogar selbst ein, dass sie es mit dem Waschen übertreiben. Manchmal versuchen sie das Zwangsverhalten durch andere Gedanken oder Tätigkeiten zu überspielen oder zu ignorieren.

Typisch sind

  • ständige gleiche Wasch- oder Reinigungsrituale
  • panische Angst vor Verunreinigung
  • das ständige Achten darauf, nicht mit verschmutzten Gegenständen etc. in Berührung zu kommen
  • der immense Zeitvertreib mit dem typischen Waschen/Reinigen
  • der Ekel vor Schmutz
  • die Verweigerung des Händeschüttelns
  • der Zwang der Mitmenschen, sich ebenfalls einem Sauberkeitsritual zu unterziehen

Mitunter wird der Waschzwang so schlimm, dass er für die Betroffenen zu einer erheblichen Einschränkung ihrer Lebensqualität führt. So empfinden viele Menschen, die unter Reinlichkeitszwang leiden, diesen als belastend.

Verbreitung und Risikogruppen

Gemeinsam mit dem Kontrollzwang zählt der Waschzwang zu den am häufigsten vorkommenden Zwangsstörungen. Da die Betroffenen oftmals erst nach vielen Jahren einen Arzt zu Rate ziehen, wird die psychische Störung meist erst spät erkannt.

Besonders betroffen von Waschzwang sind Frauen, bei denen er sechsmal häufiger vorkommt als bei Männern. Bei den meisten Patienten tritt die Zwangsstörung ab einem Alter von 27 Jahren auf.

Allerdings sind diese Angaben nicht präzise, da nur sehr wenige Betroffene im Anfangsstadium einen Arzt aufsuchen. Im Laufe der Jahre kann sich der Waschzwang zu einer chronischen Zwangsstörung entwickeln.

Diagnose

Ob es sich bei einem starken Hang zur Reinlichkeit wirklich um eine psychische Störung handelt, lässt sich durch einen Therapeuten abklären. Dabei werden in der Regel spezielle Fragebögen verwendet, durch die der Arzt erkennen kann, ob möglicherweise eine Zwangsstörung vorliegt.

Manche Therapeuten nehmen auch Verhaltenstests vor, bei denen sich die Patienten in eine für sie unangenehme Situation begeben müssen. Der untersuchende Arzt kann dabei die Reaktion des Betroffenen direkt miterleben.

Behandlung

Um einen Reinlichkeitszwang zu behandeln, kommt zumeist eine Kombination aus psychologischer Behandlung und medikamentöser Therapie zur Anwendung. Mithilfe der Medikamente ist es möglich, den Leidensdruck für die betroffene Person rasch zu reduzieren, was auch eine Steigerung der Lebensqualität bewirkt.

Konfrontationstherapie

Bei einer Psychotherapie vermittelt man dem Patienten, wie er mit seinen Ängsten und Zwangshandlungen umgehen kann. Beim Waschzwang greifen Therapeuten häufig auf die Konfrontationstherapie zurück, bei der sich die Betroffenen gedanklich in Situationen versetzen, vor denen sie Angst haben. Durch das ständige Auseinandersetzen mit furchterregenden Situationen sollen die Ängste mit der Zeit abgebaut werden.

Kognitive Umstrukturierung

Eine Alternative ist die so genannte kognitive Umstrukturierung, bei der die Patienten sich damit befassen, wie hoch die Gefahr ist, dass das Ereignis, vor dem sie Angst haben, auch wirklich eintritt. Außerdem lernen sie dabei, wie sie in Zwangssituationen ihre Zwangsgedanken wieder loswerden.

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  • Malte Ludwig Repetitorium für die Facharztprüfung Innere Medizin: Mit Zugang zur Medizinwelt, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2017, ISBN 3437233165

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