Apraxie - Formen, Ursachen und Therapie

Der Begriff Apraxie stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Untätigkeit" oder "Werkzeugstörung". Gemeint ist damit das Unvermögen, Bewegungen willkürlich und zielgerichtet vorzunehmen oder Objekte wie Besteck zu handhaben. Die motorischen Funktionen sind bei einer Apraxie jedoch intakt. Auch eine Ataxie oder Lähmungen liegen nicht vor. Unwillkürliche Bewegungen sind koordiniert ausführbar. Bemerkbar macht sich eine Apraxie in der Sprache, Mimik, Gestik sowie beim Gebrauch von Werkzeugen. Alles Wissenswerte zur Apraxie lesen Sie hier.

Von Jens Hirseland
Klassifikation nach ICD-10: R48.2
ICD-10 ist ein weltweit verwendetes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Der sogenannte ICD-Code ist zum Beispiel auf einem ärztlichen Attest zu finden.

Die Bezeichnung Apraxie fand bereits im 19. Jahrhundert durch den britischen Neurologen und Mitbegründer der Epileptologie John Hughlings Jackson (1835-1911) Verwendung. Von dem deutschen Neurologen Hugo Liepmann (1863-1925), einem führenden Hirnforscher, wurden die unterschiedlichen Apraxieformen festgelegt.

Formen der Apraxie

Es wird zwischen mehreren Formen der Apraxie unterschieden, deren Einteilung unter Fachleuten allerdings umstritten ist. Zu den verschiedenen Arten der Apraxie - gemäß der systematischen Einteilung nach Hugo Liepmann - zählen folgende:

Die ideomotorische Apraxie

Die ideomotorische Apraxie trägt auch die Bezeichnung ideokinetische Apraxie. Sie ist die am häufigste vorkommende Apraxieform und zeigt sich in der Regel nach Störungen der sprachdominanten Hirnhälfte. Betroffen sind entweder die motorischen Assoziationszentren oder die Kommissurenfasern, die die beiden Gehirnhälften miteinander verbinden.

Als typische Symptome der ideatorischen Apraxie gelten fehlerhafte Gesten und Ausdrucksbewegungen. So verwendet der Patient Ausdrucksformen falsch. Ferner ist er nicht mehr imstande, Handlungsabläufe nachzuahmen. Hat der Patient einmal einen Handlungsablauf erfasst, wiederholt er diesen immer wieder.

Die Betroffenen sind durchaus in der Lage, sich den richtigen Verlauf der Handlung vorzustellen, können ihn jedoch nicht praktisch umsetzen. Nur wenn ihnen jemand vorführt, wie zum Beispiel ein Glas mit Flüssigkeit gefüllt wird, sind manche Patienten imstande, diese Bewegung nachzumachen. Andere Patienten vermögen dagegen nicht einmal, solche einfachen Bewegungen zu imitieren.

Die ideatorische Apraxie

Die ideatorische Apraxie ist deutlich seltener anzutreffen als die ideomotorische Form. Dabei liegt eine Schädigung des temporo-parietalen Assoziationskortex vor.

Obwohl Bewegungskoordination und Muskeln vollkommen intakt sind, schaffen es die Betroffenen nicht, einen Schlüssel aus der Tasche zu nehmen und ihn in das Schlüsselloch einzuführen. Stattdessen steckt der Patient einen beliebigen anderen Gegenstand oder seinen Finger ins Schlüsselloch. Viele Betroffene können sich außerdem nicht mehr richtig anziehen, sodass sie die Unterhose über der Straßenhose tragen. Andere Patienten schmieren zunächst ein Brötchen und schneiden es dann erst auf. Auch wird eine Flasche nach dem Öffnen wieder verschlossen, bevor mit ihr ein Glas gefüllt werden kann.

Die ideatorische Apraxie wirkt sich stark negativ auf den Alltag der betroffenen Personen aus, sodass intensive Behinderungen bestehen.

Konstruktive Apraxie

Von einer konstruktiven Apraxie ist die Rede, wenn eine Beeinträchtigung der nicht-sprachdominanten Hirnhälfte vorliegt. Betroffen ist in erster Linie der parietale Assoziationskortex. Die Patienten schaffen es nicht, geometrische Gebilde fehlerlos nachzuzeichnen, weil sie sie nicht erfassen können.

Bukkofaziale Apraxie

Bei der bukkofazialen Apraxie handelt es sich um eine Apraxie der Gesichtsmuskeln. Neben Koordinationsproblemen der Mimik kann außerdem eine Augenlidapraxie vorliegen, in deren Rahmen der willkürliche Verschluss der Augen gestört ist.

Bestehen auch Störungen der Sprachbewegungen, ist von einer Sprechapraxie die Rede. Sie zeigt sich meist gemeinsam mit einer Aphasie. Hervorgerufen werden Aphasien oft durch Unfälle, Operationsverletzungen, Blutungen oder Durchblutungsstörungen. Dadurch kommt zu Störungen des Sprechverhaltens.

Gliedkinetische Apraxie

Im Rahmen der gliedkinetischen Apraxie, die auch innervatorische Apraxie genannt wird, büßen die Betroffenen ihre Geschicklichkeit an Händen und Fingern ein, weil koordinierte und präzise Bewegungen gestört sind. Ferner können sie ihre Finger nicht mehr sinnvoll bewegen.

Frontale Gangapraxie

Bei einer frontalen Gangapraxie weisen die Patienten einen unsicheren und breitbeinigen Gang auf. Nicht selten stolpern sie über ihre eigenen Füße. Erhalten sie jedoch Unterstützung, zum Beispiel durch ein Rollator, laufen sie oftmals sogar fast normal.

Zu weiteren Apraxieformen zählen die taktile Apraxie, die Gliedapraxie und die visuo-motorische Apraxie.

Ursachen einer Apraxie

Verursacher der Apraxie sind Schädigungen des Gehirns, die in der sprachdominanten Hirnhälfte auftreten.

In den meisten Fällen sind ein links- oder beidseitiger Schlaganfall oder anderweitige Schädigungen des Hirns für die neurologische Bewegungsstörung verantwortlich.

Aber auch degenerative Erkrankungen kommen als Auslöser für eine Apraxie infrage. Dazu zählen vor allem die Alzheimer-Krankheit, die Pick-Krankheit (frontotemporale Demenz) sowie die Lewy-Körperchen-Demenz.

Symptome der Apraxie

Ein typisches Merkmal der Apraxie ist das ungeschickte Ausprobieren von Bewegungen. Die Patienten sind nicht in der Lage, zwischen ihren eigenen Körperteilen und Gegenständen zu unterscheiden. So stecken sie beispielsweise ihren eigenen Finger in ein Schlüsselloch, anstatt einen Schlüssel zu benutzen. Mitunter putzen sie ihre Zähne lieber mit dem Finger und nicht mit der Zahnbürste. Auch das Schließen von Knöpfen stellt sie vor große Probleme.

Reflexhafte Bewegungen, die schon lange zuvor erlernt wurden, wie das Schütteln der Hände, Weinen oder Lachen, bleiben jedoch zumeist unbeeinträchtigt.

Diagnose einer Apraxie

Der Verdacht auf eine Apraxie macht prinzipiell den Besuch bei einem Arzt erforderlich. Dieser befasst sich zunächst mit der Krankengeschichte des Patienten. Weil jedoch viele Patienten ebenfalls unter Sprachstörungen leiden, benötigt der Mediziner Angaben von Angehörigen oder Pflegern. Als wichtige Hinweise gelten Angaben zu speziellen Verhaltensmustern des Patienten, zum Beispiel Versuche des Erkrankten, eine Suppe mit der Gabel zu essen oder Zahnpasta zu benutzen, obwohl deren Tube noch verschlossen ist.

Im Rahmen der körperlichen Untersuchung führt der Arzt einige Tests durch, die Hinweise auf die neurologische Störung liefern. Dabei soll der Patient simple Gesten oder Hand- und Fingerbewegungen vornehmen. Außerdem fordert der Mediziner den Patienten auf, bestimmte Gesten auszuführen. Weiterhin wird überprüft, wie der Patient mit bestimmten Gegenständen umgeht. So muss er zum Beispiel eine Brille aufsetzen oder Papier schneiden.

Differentialdiagnose

Eine wichtige Rolle bei der Untersuchung spielt auch die Differentialdiagnose, weil es noch andere Krankheiten gibt, die Bewegungsstörungen auslösen. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Ataxie (Beeinträchtigungen der Bewegungskoordination), Lähmungen von Gesicht, Kopf oder Rumpf sowie Wahrnehmungsstörungen durch Schlaganfälle. Auch eine Sprachverständigungsstörung oder Demenz gilt es auszuschließen. Zu diesem Zweck unterzieht der Arzt den Patienten unterschiedlichen Testverfahren.

Therapie einer Apraxie

Für die Behandlung der Apraxie ist meist ein Zusammenwirken von Ergotherapie, physiotherapeutischen Maßnahmen und Logopädie erforderlich. So beeinflusst die Zusammenarbeit den Verlauf der Behandlung maßgeblich.

Nicht bei jedem Apraxie-Patienten muss aber eine medizinische Behandlung erfolgen. Entscheidend ist letztlich, ob der Betroffene von der Bewegungsstörung negativ beeinträchtigt wird. Daher ist die Apraxie-Therapie stets den individuellen Bedürfnissen des Patienten anzupassen.

Eine wichtige Rolle spielt außerdem der Umgang von Angehörigen und Pflegepersonal mit dem Patienten. Wichtig sind vor allem viel Geduld und liebevolle Hilfe.

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