Hangry: Warum uns Hunger so wütend machen kann

Hunger kann die gute Laune leicht verderben. Manche Menschen werden durch ihn aber regelrecht wütend, was als Hangry bezeichnet wird.

Von Jens Hirseland

Schlechte Laune ist bei Menschen nicht weiter ungewöhnlich. Sie kann aus den verschiedensten Gründen entstehen. Bei manchen Personen sind jedoch ausgeprägte Hungergefühle dafür verantwortlich, dass sie regelrecht wütend werden und sich mit anderen Menschen streiten, besonders in Partnerschaften. Löst der Hunger eine solche Wut aus, sprechen Experten gerne von "Hangry".

Der Begriff "Hangry"

Bei dem Begriff Hangry handelt es sich um ein Kunstwort, das aus dem Englischen stammt. Es setzt sich aus den Wörtern "hungry" (hungrig) und "angry" (wütend oder zornig) zusammen. Die betroffene Person ist also sowohl hungrig als auch wütend.

Einige Menschen scheinen besonders anfällig für eine Hangry-Stimmung zu sein. Doch was genau wird unter Hunger und Wut verstanden?

Frau ist hungrig und plündert den Kühlschrank
Ein leerer Magen schlägt nicht selten auf das Gemüt

Hunger

Bei Hunger handelt es sich um eine körperliche Empfindung, die bei Nahrungsmangel eintritt. Hunger stellt jedoch ein ganz alltägliches Gefühl dar, wenn der Mensch längere Zeit nichts mehr gegessen hat.

Das Regulieren von Hunger und Sättigungsgefühl ist beim Menschen überaus komplex. So spielen dabei zahlreiche Faktoren eine Rolle, die sich bislang noch nicht alle erforschen ließen. Dazu zählt u.a. die Beteiligung von Hormonen.

Was im Körper vor sich geht

Wird der menschliche Magen immer leerer, kommt es zu Kontraktionen der Magenwand, die sich als Magenknurren bemerkbar machen. Diese Empfindung gilt als typisches Hungersignal.

Lage des Magens im menschlichen Körper
Ist der Magen leer, macht sich der Hunger durch Magenknurren bemerkbar

Dem derzeitigen Forschungsstand zufolge ist das Glukosenniveau im Blut von entscheidender Bedeutung. Rezeptoren, die sich in Magen und Leber befinden, melden diesen Wert an den Hypothalamus, der im Zwischenhirn angesiedelt ist. Dort sitzen auch das Hungerzentrum sowie das Sättigungszentrum. Im Falle eines zu niedrigen Blutzuckerspiegels (Hypoglykämie) kommt es zur Entstehung von Hungergefühlen. Wichtigen Anteil an diesem Vorgang hat zudem der Insulinspiegel.

Grafik mit schwebenden Fettzellen im Organismus
Fettzellen im Körper

Außerdem berücksichtigt das Gehirn die Fettreserven innerhalb der Fettzellen, die im Körper gespeichert sind. Von den Fettzellen wird unentwegt das Hormon Leptin freigesetzt. Befinden sich im Blut nur geringe Mengen an Leptin, kommt es zu starken Hungergefühlen.

Dieser Vorgang erfolgt jedoch nur bei Menschen, die über ein normales Gewicht verfügen. So ist bei Adipositas (Fettsucht) durchaus genügend Leptin im Körper vorhanden, bewirkt jedoch kein Gefühl der Sättigung aufgrund einer Leptin-Resistenz.

Bei einer Diät kommt es zu einem erheblichen Absinken der Leptinkonzentration, was wiederum Heißhungerattacken nach sich zieht.

Hunger kann aber auch durch äußere Einflüsse ausgelöst werden. Dazu gehören

  • das Aussehen der Lebensmittel,
  • ihr Geschmack sowie
  • ihr Geruch.

Einfluss auf das Hungergefühl

Aussehen, Geruch und Geschmack haben Einfluss auf das Hungergefühl.

  • Junge Köchin mit einem Reis- und einem Spaghettiteller in den Händen

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  • Junge Köchin mit geschlossenen Augen über Kochtopf gebeugt riecht genüsslich an Essen

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  • Kochen - Junge Köchin beim Abschmecken der Suppe

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Welche Rolle spielt die Psyche bei der Entstehung von Hunger?

Noch nicht einwandfrei klären ließ sich, wie sich die menschliche Psyche auf das Hungergefühl auswirkt. Nicht selten lösen Stress oder negative Emotionen Heißhunger aus, obwohl kein körperlicher Bedarf an Essen besteht. Und nicht selten wird aus den Essgelüsten Gewohnheit. In manchen Fällen gehen die Heißhungeranfälle sogar in Essstörungen über.

Wut

Unter Wut werden negative impulsive Gefühle des Menschen verstanden, die mit Aggressivität einhergehen. Ausgelöst wird die Wut zumeist durch Kränkungen, Beleidigungen oder Situationen, die als unangenehm empfunden werden. Im Unterschied zum Ärger lässt sich die Wut schwerer beherrschen.

Als ein möglicher Wutauslöser gilt mittlerweile auch Hunger - man spricht dann eben auch von "Hangry".

Hunger und Wut

Verspüren manche Menschen Hunger, können aber ihre Esslust nicht befriedigen, reagieren sie oft mit Aggressivität gegenüber ihren Mitmenschen. Dabei kann es sich um Partner, Familienangehörige oder Arbeitskollegen handeln. In solchen Fällen ist es oft besser, die Betroffenen gar nicht erst anzusprechen, weil sonst eine Eskalation ihres Verhaltens droht.

Hunger und Wut sorgen nicht selten für Streit
Hunger ist ein häufiger Auslöser für oftmals belanglose Streitigkeiten

Ursachen der Wut bei Hunger

Ernährungswissenschaftler machen prinzipiell den Glukosespiegel im Blut für das Hangry-Phänomen verantwortlich. Durch den Glukosespiegel wird die Leistungskraft des menschlichen Gehirns beeinflusst. Außerdem wirkt er sich auf die Freisetzung des Stresshormons Adrenalin sowie des Botenstoffs Neuropeptid Y im Organismus aus. Diese beiden Substanzen haben auf die Stimmung des Menschen erheblichen Einfluss.

Essbare Proteine, Kohlenhydrate sowie Fett zerlegen sich nach der Nahrungsaufnahme in freie Fettsäuren, Aminosäuren und einfache Zucker wie Glukose. Durch die Blutbahn gelangen sie bis zu den Geweben und Organen und liefern ihnen Energie. Ist dieser Vorgang erfolgreich, verhält sich der Mensch wieder ausgeglichen.

Wichtig ist in erster Linie die Glukose. Ohne deren Nachschub arbeitet das menschliche Gehirn gewissermaßen nur noch auf Sparflamme. So drücken sich manche hungrige Menschen nicht mehr korrekt aus oder machen mehr Fehler. Da freundliches Verhalten unnötige Kraft kostet, ist dieses dann nicht mehr vorgesehen.

Verzichtet der Mensch trotz dieser Alarmsignale auf sein Essen, fordert das Gehirn die anderen Organe dazu auf, für Glukosenachschub zu sorgen. Die Herstellung der Glukose führt jedoch zu dem Nebeneffekt, dass es zur Freisetzung von Stresshormonen kommt. Zwar kann das Gehirn weiterhin seine Denkvorgänge durchführen, doch befindet sich der Körper im Alarmmodus.

Grafik eines Mannes mit hervorgehobenem Gehirn
Glukose ist wichtig für die Gehirnleistung

Paare besonders von Hangry betroffen

Um einen Beleg über den Zusammenhang zwischen Hunger und Wut zu finden, führten amerikanische Wissenschaftler an der Ohio State University in Columbus Versuche mit Voodoo-Puppen durch, an denen 107 Paare teilnahmen. Jeder einzelne Teilnehmer erhielt eine Voodoo-Puppe, die den Ehepartner darstellte. Außerdem stellten ihm die Forscher 51 Nadeln zur Verfügung. Durch psychologische Fragebögen ermittelten die Wissenschaftler die Zufriedenheit in der Beziehung.

In einem Zeitraum von drei Wochen konnten die Probanden jeden Abend die Nadeln in die Puppen bohren, wenn sie auf ihren Partner wütend waren. Zur Ermittlung des Hungerzustands erfolgte zudem eine Messung des Blutzuckerspiegels vor dem Frühstück sowie vor dem Schlafengehen.

Das Ergebnis: Je weiter der Blutzuckerspiegel in den Abendstunden abfiel, desto mehr Nadeln wurden in die Voodoo-Puppe des Partners gebohrt. Das heißt, je hungriger die Testpersonen waren, umso mehr Nadeln stachen sie in die Puppe ein.

Die Wissenschaftler führten die Testresultate darauf zurück, dass die Selbstkontrolle des Menschen bei einem niedrigen Blutzuckerspiegel absinkt. Um die Aggressionen zu unterdrücken, muss dem Gehirn mehr Glukose zugeführt werden. Vom Gehirn werden rund 20 Prozent der Kalorienzufuhr verbraucht, sodass es sich um einen regelrechten Energiefresser handelt. Ein Absinken der Zufuhr hat also eine Gereiztheit zur Folge.

Was tun gegen den "Hangry"-Zustand?

Bei "Hangry" handelt es sich um einen ausgesprochenen Gemütszustand. Um ihm entgegenzuwirken, wird empfohlen, regelmäßige Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Dazu gehören auch gesunde Snacks für Zwischendurch.

Gutgelaunte Frau isst einen Apfel
Gesunde Snacks zwischendurch halten Hunger und Wut auf Abstand

Als weniger geeignet gelten allerdings Kekse, Schokolade oder Knabberzeug. So fahren sie den Glukosespiegel nur für kurze Zeit hoch und lassen ihn dann wieder rasch abstürzen, was wiederum zu Hangry-Gefühlen führt.

Ernährungswissenschaftler raten zum Verzehr von Obst. Dieses ist reich an wertvollen Nährstoffen, aber arm an Kalorien.

Hangry-Anfällige können auch leicht mit Traubenzucker Abhilfe schaffen, weil er schnell ins Blut gelangt. Auf diese Weise lässt sich der soziale Frieden am effektivsten bewahren.

  • Sarah Fragoso, Brooke Kalanick ND MS Hangry: 5 Simple Steps to Balance Your Hormones and Restore Your Joy (Including a Customizable Paleo/Mediterranean Plan!), St Martin's Press, 2019, ISBN 1250189845

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