Die umstrittene Krankheit Misophonie: Warum machen Alltagsgeräusche manche Menschen krank?

Bei der verminderten Geräuschtoleranz sind die Inselrinde im Hirn sowie die negative Selbstwahrnehmung von Bedeutung

Von Cornelia Scherpe
16. Februar 2017

Der Sitznachbar klopft mit den Nägeln auf die Tischplatte oder jemand schlürft laut beim Essen. Geräusche dieser Art stören so manchen und meist sagt man nach einigen Momenten: "Lass das, bitte."

Menschen mit Misophonie können die genannten Alltagsgeräusche jedoch nahezu nicht ertragen. Sie werden beispielsweise sofort aggressiv, wenn eine Dame mit High Heels an ihnen vorbeiläuft und die Absätze Geräusche auf dem Straßenbelag erzeugen.

In der Psychologie sprechen die Ärzte von einer stark verminderten Geräuschtoleranz. Betroffene können das Gehörte weder neutral verarbeiten, noch mental abschalten.

Ob man deswegen direkt von einer Krankheit sprechen kann, gilt bisher noch als umstritten. Zumal die Betroffenen längst nicht bei allen Alltagsgeräuschen gleich reagieren. Die einen stört das Babygeschrei nicht, jedoch die Essgeräusche andere und so weiter.

Eine aktuelle Studie sieht eine Störung und zwar innerhalb des Gehirns. Wer an Misophonie leidet, hat ihrer Ansicht nach verkümmerte emotionale Kontrollmechanismen im Hirn. Worauf die Betroffenen so aggressiv reagieren, kann von unterschiedlichen Erfahrungen im Leben abhängen.

Abnormale Reaktion des Hirns weist auf eigenständige Krankheit hin

Für das Experiment arbeiteten britische Forscher mit 20 Freiwilligen zusammen. Diese litten an Misophonie und erklärten sich bereit, verschiedene Geräusche über Lautsprecher zu hören. Während des Versuchs wurde ein MRT von ihrem Gehirn gemacht, der Herzschlag überwacht und die Leitfähigkeit der Haut gemessen.

Hörten die Probanden ihre verhassten Geräusche, beschleunigte sich die Herzfrequenz und die Haut-Leitfähigkeit nahm zu. Im Gehirn aktivierte sich die vordere Inselrinde. Sie ist zuständig für eine Verknüpfung von Sinneseindrücken und Gefühlen.

Die Inselrinde greift dafür auch auf Feedback aus dem Körper zurück und interpretiert den gesteigerten Herzschlag. Es findet also eine negative Selbstwahrnehmung statt.

Die Inselrinde vernetzt sich dabei auch mit anderen Regionen, darunter dem Hippocampus. Hier werden Erinnerungen bewertet, was erklären könnte, warum manche Alltagsgeräusche die Aggressionen nicht auslösen.

Insgesamt sehen die Forscher ihre Studie als Zeichen dafür, dass Misophonie eine eigenständige Krankheit ist, denn das Gehirn reagiert abnormal. Bislang ist die Misophonie aber nicht anerkannt und findet in den Katalogen DSM-V und ICD-10 keine Erwähnung.