Hyperventilation - Merkmale, Ursachen und Behandlung

Beim Hyperventilieren atmet der Betroffene ungewöhnlich schnell und tief, obwohl körperlich eigentlich kein Grund dafür vorliegt, der Körper also ausreichend mit Sauerstoff versorgt ist. Trotzdem verspürt der Betroffene eine ausgeprägte Atemnot. In den meisten Fällen geht die Hyperventilation auf psychische Ursachen zurück und tritt zum Beispiel im Zuge einer Panikattacke auf. Alles Wissenswerte zur Hyperventilation erfahren Sie in diesem Artikel.

Von Jens Hirseland

Die medizinische Bezeichnung Hyperventilation setzt sich aus dem altgriechischen Begriff "Hyper" (über) sowie dem lateinischen Begriff "ventilare" (fächeln) zusammen. Gemeint ist damit eine Belüftung der Lunge, die über den Bedarf hinausgeht. Gleichzeitig steigt der pH-Wert im Körper an, während der Kohlenstoff-Partialdruck (CO2) abnimmt.

Was geschieht beim Hyperventilieren?

Im Normalfall kommt es durch die Abnahme des CO2-Partialdrucks zu einer unbewussten Reflexreaktion, die die Atemtätigkeit reduziert. Diesen natürlichen Vorgang unterbricht die Hyperventilation jedoch.

Um den lebenswichtigen Gasaustausch des Blutes kümmert sich die Lunge. Sie liefert dem Körper frischen Sauerstoff. Das CO2, das sich dabei durch die Zellatmung bildet, atmet die Lunge wieder ab.

Kommt es zu einer Hyperventilation, beschleunigt sich die Atmung. Allerdings vertiefen sich auch die Atemzüge. Durch das normale Atmen ist der Bedarf des Blutes an Sauerstoff fast vollständig gedeckt. Eine zusätzliche Versorgung mit Sauerstoff findet durch das Hyperventilieren also nicht statt. Es senkt sich jedoch die CO2-Konzentration in zunehmendem Maße ab.

Bei der normalen Atmung erfolgt die Auflösung des CO2 im Blut, sodass es in gebundener Form als Kohlendioxid vorliegt. Dieses wirkt sich säuernd auf den pH-Wert des Blutes aus. Nimmt der Gehalt an Kohlendioxid ab, alkalisiert sich das Blut, wobei der übliche pH-Wert, der bei 7,4 liegt, ansteigt. Dadurch kommt es wiederum zu einem Zustand, den Mediziner als respiratorische Alkalose bezeichnen. Infolgedessen drohen sogenannte Hyperventilationstetanien wie Muskelkrämpfe. Im schlimmsten Fall verliert der Betroffene sogar das Bewusstsein.

Atmung beim Menschen

Formen der Hyperventilation

In der Medizin wird zwischen zwei unterschiedlichen Formen der Hyperventilation differenziert. Dies sind das akute Hyperventilationssyndrom (HVS) sowie das chronische Hyperventilationssyndrom. Die akute Form zeigt sich in Anfällen. Außerdem leiden die betroffenen Personen unter tetanischen Muskelkrämpfen. Das chronische Hyperventilationssyndrom tritt immer wieder auf.

Weiterhin wird zwischen einer psychogenen und einer somatischen Hyperventilation unterschieden. Während die psychogene Form psychische Ursachen hat, entsteht die somatische Form aus körperlichen Gründen.

Ursachen einer Hyperventilation

Psychogene Hyperventilation

Etwa 95 Prozent der Ursachen für eine Hyperventilation sind psychisch bedingt. So besteht bei den Betroffenen eine starke seelische Anspannung. Dabei zeigen sich die Patienten aufgeregt oder nervös. Ebenso können starke Angst- oder Wutgefühle eine Hyperventilation auslösen. Manchmal führen auch intensive Depressionen oder Schmerzen zu der überhöhten Atmung. Als typischer Auslöser für eine Hyperventilation gilt vor allem die Panikattacke.

Nicht selten wird die psychogene Hyperventilation von psychosomatischen Beschwerden begleitet.

Somatische Hyperventilation

Für eine somatisch bedingte Hyperventilation kommen verschiedene Erkrankungen in Betracht. Dazu gehören in erster Linie Schädigungen des Gehirns wie:

  • eine Enzephalitis (Gehirnentzündung), die sich durch Kopfschmerzen, Fieber, Sehstörungen oder Lähmungserscheinungen bemerkbar macht. Wird zugleich das Atemzentrum beeinträchtigt, kann dies eine Hyperventilation zur Folge haben
  • Gehirntumore
  • Schädel-Hirn-Verletzungen
  • nach einem Schlaganfall

Neben dem Gehirn können zudem Stoffwechselstörungen eine Hyperventilation hervorrufen. Der Organismus unternimmt dabei den Versuch, einer Übersäuerung des Blutes durch das Absenken des Kohlendioxids entgegenzuwirken. Dies geschieht unter anderem bei:

Unechte Hyperventilation

Die unechte Hyperventilation gehört eigentlich nicht zu den Hyperventilationen, weist aber ähnliche Symptome auf. So wird das Gewebe nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt und die Atmung intensiviert sich. Dabei handelt es sich zumeist um eine Folgeerscheinung einer Lungenembolie oder einer Herzschwäche. Außerdem kann sie in großen Höhen vorkommen, wenn der Körper nicht genügend Zeit hatte, um sich anzupassen.

Wie macht sich eine Hyperventilation bemerkbar?

Ein typisches Merkmal der Hyperventilation ist ein rascher Anstieg der Atemfrequenz. Außerdem verspüren die Betroffenen starke Atemnot, wodurch sie sich gezwungen sehen, tief einzuatmen. Weitere Begleiterscheinungen stellen Reizhusten, ein Engegefühl in der Brust, Seufzen und Gähnen dar.

Ebenfalls typisch sind neuromuskuläre Symptome wie Missempfindungen, die sich als Kribbeln oder Ameisenlaufen bemerkbar machen, Zittern, Verkrampfungen an den Händen sowie die Bildung eines sogenannten "Karpfenmauls" am Mund.

Weitere mögliche Begleiterscheinungen beim Hyperventilieren:

  • Schwindelgefühle
  • Kopfschmerzen
  • Benommenheit
  • Sehstörungen
  • Herzrasen
  • Herzstechen
  • Schmerzen oberhalb des Brustkorbs

Beim chronischen Hyperventilationssyndrom zeigen sich außerdem:

  • Schluckstörungen
  • Blähungen
  • Aufstoßen
  • Konzentrationsprobleme
  • Nervosität
  • Vergesslichkeit
  • Panikzustände
  • Müdigkeit

Wann zum Arzt?

Ein Arzt sollte aufgesucht werden, wenn sich die Hyperventilation fortsetzt, obwohl sich der Patient bereits wieder beruhigt hat. Gleiches gilt bei einem wiederholten Auftreten des Hyperventilierens.

Als erster Ansprechpartner empfiehlt sich der Hausarzt, da er den Patienten am besten kennt und abschätzen kann, ob psychische oder physische Gründe für die Beschwerden verantwortlich sind. Je nachdem welche Ursache die Hyperventilation auslöst, erfolgt eine Überweisung an einen Facharzt wie einen Kardiologen, Internisten, Pulmologen oder Psychotherapeuten.

Diagnose bei einer Hyperventilation

Der Arzt befasst sich zunächst mit der Krankengeschichte des Patienten. Dabei schließt er körperliche Ursachen für die Hyperventilation sowie die damit verbundenen Muskelkrämpfe aus.

Nächster Schritt ist die körperliche Untersuchung. Sie umfasst das Abhören der Lunge. Ferner kann eine Blutgasanalyse, die Aufschluss über den pH-Wert sowie die CO2-Konzentration gibt, stattfinden.

Ergibt die Untersuchung, dass die Hyperventilation körperliche Ursachen hat, versucht der Arzt dem Auslöser auf die Spur zu kommen. Für eine Differentialdiagnose stehen dem Mediziner verschiedene Untersuchungsmethoden wie eine Blutuntersuchung, das Anfertigen von Röntgenaufnahmen oder ein EKG (Elektrokardiogramm) zur Verfügung.

Behandlung einer Hyperventilation

Frau atmet in eine Tüte
Im Notfall kann das Atmen in eine Tüte die Hyperventilation beenden

Von der Ursache der Hyperventilation hängt ihre Therapie ab. Werden die Beschwerden durch Stress ausgelöst, ist es wichtig, den Patienten zu beruhigen, damit er langsamer atmet. Im Akutfall wird in eine Papier- oder Plastiktüte geatmet, damit sich der Kohlendioxidwert durch die Rückatmung wieder reduziert, weil das Kohlendioxid zur Lunge zurückkehrt. Anstelle von weiterem Sauerstoff wird Kohlendioxid eingeatmet, da sich die Kohlendioxidkonzentration im Körper wieder erhöht. Dadurch lassen sich die Muskelkrämpfe und das Hyperventilieren beenden.

Führt dieses Verfahren nicht zum Erfolg, kann die Gabe von Beruhigungsmitteln wie Benzodiazepinen hilfreich sein. In den meisten Fällen reichen diese simplen Maßnahmen bereits aus, um das psychogene Hyperventilieren in den Griff zu bekommen.

Hat die Hyperventilation körperliche Ursachen, muss die auslösende Grunderkrankung behandelt werden.

Entspannungsmethoden

Um weitere psychisch bedingte Hyperventilationsanfälle zu verhindern, stehen verschiedene Entspannungstechniken zur Verfügung wie Yoga oder autogenes Training. Auch Atemtechniken gelten als sinnvoll. Sie tragen dazu bei, dass sich der Patient in Stresssituationen entspannt. Reichen die Entspannungsmethoden nicht aus, muss eine psychosomatische Therapie durchgeführt werden.

Selbsthilfe

Es besteht auch die Möglichkeit, selbst etwas gegen akutes Hyperventilieren zu tun. Zeigen sich die ersten Anzeichen eines Anfalls, ist es wichtig, anstatt mit dem Brustkorb mit dem Bauch zu atmen. Der Patient legt eine Hand auf den Bauch und konzentriert sich beim Ein- und Ausatmen darauf, dass der Bauch die Hand bewegt. Auch lässt sich die Luft mit der Hand wieder aus dem Bauch drücken. Führt der Betroffene diese Atemübung schon vor dem Anfall durch, kann dieser sogar oft schon im Vorfeld verhindert werden.

Atmet der Patient während eines Hyperventilationsanfalls nur kurz ein und anschließend bewusst langsam wieder aus, führt dies zur Besserung der Atmung. Allerdings muss dieses Vorgehen schon zu Beginn des Anfalls erfolgen, da es sonst wirkungslos bleibt. Aus diesem Grund sollte stets eine Papier- oder Plastiktüte bereitliegen, falls plötzlich eine Hyperventilation auftritt. Ist jedoch einmal keine Tüte verfügbar, kann das Atmen durch die Hand erfolgen, die vor den geöffneten Mund gehalten wird.

Wichtig ist, dass sich der Patient über die Umstände der Hyperventilation informiert. So verspürt der Betroffene deutlich weniger Angst, wenn er weiß, dass das Hyperventilieren zwar unangenehm, aber nicht lebensgefährlich ist. Außerdem kann er durch die Anwendung von Atemtechniken und Entspannungsmethoden gegen einen Anfall gezielt vorgehen.

Prognose bei einer Hyperventilation

Die psychogene Hyperventilation, die zu 90 Prozent durch Stress ausgelöst wird, gilt als harmlos und gut behandelbar. Daher fällt ihre Prognose günstig aus. Sind körperliche Gründe für das Syndrom verantwortlich, hängt der Verlauf von der auslösenden Ursache und deren Behandlung ab.

Prävention einer Hyperventilation

Damit es gar nicht erst zu einer psychogenen Hyperventilation kommt, empfiehlt sich eine möglichst stressfreie und gesunde Lebensweise. Dazu gehören vor allem reichlich Bewegung an der frischen Luft sowie der Verzicht auf Alkohol und Tabakwaren. Zur Vorbeugung eignen sich außerdem Entspannungsmethoden wie autogenes Training oder Yoga.

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