Begreifen

Ich versuche zu erklären was ich gefühlt hatte nach meiner Vergewaltigung. Es ist nicht nur der Akt an und für sich. Die Erniedrigung, die Schmerzen, die Gewalt. Es ist viel mehr als das. Natürlich ist es schon schwer genug damit fertig zu werden, genauso schwer es für jemanden ist der körperliche Gewalt erfahren hat. Aber was es noch viel schwerer macht ist die sich auf das Ich fokussierende Erziehung und generelle Attitüde in der liberalen westlichen Gesellschaft die das Individuum, den eigenen Geist und Körper als unantastbare Entität verkauft. Man stelle sich also mal vor, dass die Unantastbarkeit des Ichs nie in Frage gestellt wird, weil jegliche Notion die damit einher geht sofort an ein Gefühl der Falschheit gebunden ist. Natürlich geht man davon aus zu wissen, dass man nicht allmächtig ist, dass man sich nicht schützen kann, relativ gesehen. Aber es ist eine so unglaublich traumatisierende und intensive Erfahrung diese vermeintlich begriffene und verstandene Tatsache am eigenen Körper zu spüren, die es so kompliziert macht eine Vergewaltigung zu verarbeiten. Es ist die Ahnungslosigkeit davor, die Willkür in der solche Dinge passieren. Das was bleibt ist das Verständnis von dem Andere nur reden, von dem alle glauben es zu wissen. Niemand, ob Mann oder Frau, kann sich auch nur ansatzweise eine Vorstellung machen wie es ist vergewaltigt zu werden ohne es selbst erlebt zu haben. Dabei kommt noch hinzu, dass Männer eine generell andere, schon biologisch vorprogrammierte, Beziehung zur Sexualität haben, die sich nicht annähernd auf die der Frau annähert.

Ich behaupte nicht, dass Frauen nicht auch Sex aus Lust, Langeweile oder Ego-Problemen haben. Aber ich sage, dass sobald es zu einem aufgezwungenen sexuellen Akt kommt, die Tatsache, dass IN deinen eigenen Körper eingedrungen wird, die Tatsache, dass DU keine Entität bist die nicht überkommen werden kann eine so bittere Erfahrung ist, derer ich zu begreifen erst mehrere Monate brauchte. Ich existiere nicht als solches. Ich bin nicht unantastbar. Er konnte sich mir nicht nur aufzwingen, er war in mir. Und in diesem Moment, in dem alles was du bist und alles was du getan hast irrelevant wird - in dem Moment in dem du ein aufgebrochenes Objekt bist, - in diesem Moment hatte alles an was ich geglaubt hatte, alles was mir wichtig war seinen Wert verloren. Im Angesicht der Tatsache, dass ich so leicht überkommen werden konnte, dass mein Geist von kompletter Irrelevanz und mein Körper kein Schutz mehr war, da wurde ich angegriffen. Nicht nur von außen, sondern von mir, denn die Wahrnehmung meiner Selbst wird nie mehr so sein wie vorher. Ich kann nicht an mich glauben, denn ich gebe mir keine Sicherheit. Lediglich brauchte es einen solchen Akt, damit ich es erst begriff. Und jetzt suche ich nach einem Ersatz. Ich suche nach Bedeutung, nach etwas an das ich Glauben kann. Ich suche nach Intensivität nicht mehr, weil ich lieber in der oftmals so verhassten Mittelmäßigkeit des Lebens verharre, um nicht mehr der Gefahr der Disillusionierung ausgesetzt zu sein. Ergo befinde ich mich in einem Paradox. Ich verzweifle an dem Mangel der Intensivität, am Mangel der Bedeutung und bin doch so verschlossen in meiner Angst und Ungläubigkeit, um mich jeglicher Form des reinen, ungedämpften Lebens zu stellen. Ich bin nicht mehr frei, ich bin einsam. Und doch, kann ich das was ich fühle nicht ausdrücken. Ich kann nicht erklären was in mir vorgeht. Ich begreife nicht in vollen Zügen was genau mich so miserabel macht.

Ich begreife, dass der einzige Grund weshalb ich weiter mache ist um nicht aufzugeben. Was ich nicht aufgeben kann ist mein Leben. Lediglich ist es fraglich wie weit ich fähig bin zu leben, jetzt wo ich mich schon aufgegeben hab.

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