Merkmale, Geschichte und Varianten des Narzissmus

Als Narzissmus bezeichnet man stark ausgeprägte Selbstliebe oder Selbstbewunderung. Es gibt verschiedene Formen und Varianten des Narzissmus.

Von Jens Hirseland

Narzissmus: Die Liebe zu sich selbst

Von Narzissmus ist die Rede, wenn Menschen sozusagen in sich selbst verliebt sind und sich bevorzugt mit der eigenen Person beschäftigen. Typisch für narzisstische Menschen ist, dass sie überempfindlich auf Kritik reagieren und nur mangelndes Einfühlungsvermögen zeigen. Hinter ihrer großspurigen Fassade verbirgt sich jedoch mangelndes Selbstwertgefühl.

Wenn aus Selbstliebe Egoismus wird

Wenn man sich selbst liebt, dann zeigt sich das an einem sicheren und bestimmten Auftreten. Ohne eine Prise Narzissmus wären wir von Unsicherheit geprägt und könnten uns in der Gesellschaft kaum behaupten. Wenn diese gesunde Selbstliebe jedoch in

umschlägt, dann dient das persönliche Umfeld allein zur Selbstbestätigung. Die Umwelt liefert immer neue Impulse für die verzerrte Wahrnehmung der eigenen Person, die sich in fortwährender Konkurrenz zu anderen sieht.

Oberflächlich Selbstliebe überspielt tiefsitzende Unsicherheit

Hinter dieser verzerrten Selbstwahrnehmung steckt nicht etwa ein zu starkes Ego, sondern große Unsicherheiten. Narzissten haben ein mangelndes Selbstwertgefühl. Sehr schnell fühlen sie sich unsicher, zurückgewiesen und gekränkt.

Um schmerzliche Zurückweisung zu vermeiden, werden Situationen umgangen, die das Bild von der eigenen Person ins Wanken bringen könnten. Aus diesem Grund gestalten sich Beziehungen zu anderen Menschen sehr schwierig.

Auswirkungen auf Beziehungen zu Mitmenschen

Narzissten suchen immerzu nach Bestätigung, Anerkennung und Bewunderung. Auf Dauer können nahe stehende Personen die eigenen Ansprüche jedoch nicht zurückschrauben. Fordern sie selbst Aufmerksamkeit ein, dann fühlen sich Narzissten in ihrer Sonderstellung bedroht. Wenn der Freund oder Partner die Erwartungshaltung nicht erfüllen kann, dann ist die Bindung nicht von langer Dauer.

Aus überspielten Unsicherheiten entstehen gesellschaftliche Vorurteile

Diese Unsicherheiten und Abhängigkeiten sind nur schwer auszumachen. Auf Fremde und ferne Bekannte wirken Narzissten als sehr selbstsicher, erfolgreich und zielstrebig. Schnell kann sich dieser erste Eindruck ins Negative umschlagen.

Da Menschen mit narzisstischem Charakter unentwegt von sich reden und ihre Vorzüge betonen, werden sie schon bald als eingebildet und arrogant empfunden. Menschliche Regungen wie Anteilnahme, Mitleid und Hilfsbereitschaft scheint ihnen fremd zu sein.

Andere Menschen werden als Bedrohung und Konkurrenz wahrgenommen. Dieser Umstand macht es den Narzissten unmöglich, offen auf Fremde zuzugehen.

Folgeerscheinungen und Hilfsmaßnahmen

Die Neigung, Menschen emotional auszubeuten, die Labilität der Emotionen und die Angst vor der Zurückweisung schränken die Narzissten in vielen Lebensbereichen stark ein. Dennoch empfinden die Betroffenen ihren Charakterzug nicht zwangsläufig als Belastung. Solange die Selbstwahrnehmung mit der vermeintlichen Realität übereinstimmt, fühlen sich die betroffenen Personen durchaus gut.

Wenn dieser Abgleich der Wahrnehmungen und Realität nicht vereint werden kann, dann können schwere Angststörungen und Depressionen die Folge sein. In diesem Fall spricht man von einer narzisstischen Störung.

Bevor der Narzissmus zum bestimmenden und gleichermaßen isolierenden Faktor im Leben wird, sollten sich Betroffene Hilfe suchen. Neben der klassischen Psychotherapie können auch Selbsthilfegruppen und spezialisierte Einrichtungen bei der Bewältigung der Sucht nach Anerkennung behilflich sein.

Die Geschichte des Narzissmus

Der Begriff "Narzissmus" wurde von der Sexualwissenschaft des späten 19. Jahrhunderts geprägt. Er diente dazu, eine spezifische Form der Perversion zu bezeichnen.

Altgriechische Mythologie: Die Sage von Narkissos

Dabei griff man auf die Sage von Narkissos zurück, die der altgriechischen Mythologie entstammte. Narkissos, der auch die Bezeichnungen Narziss oder Narcissus trägt, war in einer Legende aus dem alten Griechenland der schöne Sohn der Nymphe Leiriope und des Flussgottes Kephissos.

Indem er die Wassernymphe Leiriope mit seinen Flussschlingen umhüllte, schwängerte Kephissos diese. Schließlich gebar sie ihren Sohn Narkissos. Der Seher Teiresias sagte Narkissos voraus, dass er ein langes Leben führen würde, sofern er sich nicht selbst erkannte.

Der begehrte Narkissos

In seiner Jugend begehrten sowohl Mädchen als auch Jünglinge den schönen Narkissos. Dieser war jedoch so sehr von seiner Schönheit eingenommen, dass er all seine Verehrerinnen und Verehrer barsch zurückwies.

Dazu gehörte auch die Nymphe Echo, die ihre Sprache verloren hatte und immer nur die Worte wiederholte, die andere sagten. Durch die unfreundliche Zurückweisung des Narkissos verkümmerte Echo, sodass nur noch die Stimme von ihr blieb.

Eines Tages trieb es Narkissos jedoch zu weit. So sandte er seinem aufdringlichen Verehrer Ameinios ein Schwert, damit dieser sich damit umbrachte, was er dann auch tat. Vor seinem Tode rief Ameinios jedoch noch die Götter an, dass sie ihn rächen sollten.

Die Strafe der Göttin Nemesis

Die Bitte des Sterbenden wurde von der Göttin Nemesis erhört. Diese bestrafte Narkissos, indem sie ihm mit unstillbarer Selbstliebe erfüllte. So kam es, dass sich Narziss bald darauf in sein eigenes Spiegelbild verliebte, als er dieses in einer Wasserquelle entdeckte.

Zunächst versuchte der schöne Jüngling das Spiegelbild zu umarmen und zu liebkosen, was jedoch nicht möglich war. Schließlich erkannte Narkissos, dass sich seine Liebe niemals erfüllen würde.

Unter großem Wehklagen ergriff er einen Dolch und tötete sich damit. Vom Blut des Narkissos wurde die Erde getränkt. Später wuchs an dieser Stelle eine Narzisse.

Narkissos als Kunstobjekt

In der antiken Kunst stellte Narkissos ein beliebtes Objekt dar. So ist sein Abbild auf zahlreichen Reliefs, Sarkophagen und Steinen zu finden.

Varianten des Narzissmus

Viele Narzissten zeichnen sich durch starke Leistungen in Schule und Beruf aus und weisen durchaus gepflegte Umgangsformen auf. Mitunter wird Selbstbewunderung auch als positiv angesehen. So unterscheidet man zwischen positivem und negativem Narzissmus.

Positiver Narzissmus

Unter positivem Narzissmus versteht man, dass ein Mensch eine positive Einstellung zu sich selbst hat. Auf diese Weise erhält er ein stabiles Selbstwertgefühl.

Dieses Gefühl bleibt auch bei Rückschlägen bestehen. So ruht ein positiv narzisstischer Mensch in sich selbst und strahlt auch anderen Menschen gegenüber Wärme aus. Positiven Narzissmus betrachtet man deswegen als gesunden Teil einer harmonischen Persönlichkeit.

Negativer Narzissmus

Negativem Narzissmus liegt dagegen mangelndes Selbstwertgefühl zugrunde.

  • Dieses entsteht zumeist durch zu wenig Zuwendung der Eltern im Säuglingsalter.
  • Darüber hinaus erfahren die Betroffenen während ihrer Kindheit zu wenig Bestätigung und Einfühlungsvermögen.

Beim negativen Narzissmus interessieren sich die Betroffenen in erster Linie für sich selbst. Ihr Bedürfnis zu lieben, ist eher passiv. So lieben sie nur, um selbst geliebt zu werden. Typisch für eine Beziehung mit einem negativen Narzissten ist, dass die Partnerschaft sehr einseitig verläuft.

Der Narzisst nimmt nur, gibt aber nichts. Zu Mitgefühl mit anderen Menschen ist er kaum oder überhaupt nicht in der Lage. Andererseits benötigt er ständig die Bestätigung durch andere Menschen.

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Als pathologische Form des Narzissmus bezeichnet man die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Die Betroffenen leben dabei in einer Art Phantasiewelt, in der sie sich selbst als überaus wichtig erleben und glauben, etwas Besonderes zu sein.

Menschen, die unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, sind oft nicht in der Lage Freude zu empfinden. Stattdessen herrschen bei ihnen

  • übertriebenes Anspruchsdenken
  • Empathiemangel
  • Arroganz und
  • Neid.

Vier weitere Varianten

Weitere Varianten des Narzissmus sind:

  1. der amouröse Narzissmus, bei dem der Betroffene sich verführerisch zeigt, aber nicht imstande ist, sich auf tiefer gehende Beziehungen einzulassen

  2. der elitäre Narzissmus, bei dem die Sucht nach Bewunderung besteht

  3. der fanatische Narzissmus, bei dem sich paranoide Züge zeigen

  4. der charakterlose Narzissmus, bei dem die Betroffenen so skrupellos sind, dass sie sogar kriminell werden