Blick ins Gehirn: Wie erlernen Säuglinge ihre Muttersprache?

Wie Säuglinge das Sprechen lernen: Aufteilung und spätere Kombination von zwei Verarbeitungspfaden

Von Cornelia Scherpe
15. August 2017

Eltern freuen sich, wenn ihr Nachwuchs mit circa einem Lebensjahr zum ersten Mal spricht. Forscher interessieren sich seit Jahrhunderten dafür, wie das junge Gehirn die Muttersprache verarbeitet und sich Schritt für Schritt auf das erste Sprechen vorbereitet. Erst in der jüngsten Gegenwart ist die Medizintechnik so weit vorangeschritten, dass Ärzte den Spracherwerb nachvollziehen können. Eine aktuelle Studie zeigt: das junge Gehirn muss zwei Pfade gehen und diese am Ende verknüpfen.

An der Universität Tübingen arbeitete ein Wissenschaftsteam mit Eltern zusammen, deren Babys insgesamt drei Mal zu einem besonderen Hörtest vorgestellt wurden. Die Kinder waren beim ersten Versuch drei Monate, später sechs und am Ende neun Monate alt. Bei den drei Tests bekamen sie eine EEG-Kappe aufgesetzt, damit die Forscher die Hirnströme messen konnten.

Betonung und Sprachlaute als zwei Verarbeitungspfade

Während das EEG lief, bekamen die Säuglinge einfache Worte wie MAMA vorgesprochen. Die Betonung der zwei Silben wurde dabei bewusst verändert, sodass die Kinder Variationen (MAma oder maMA) hörten. Die Hirnströme zeigten, dass bereits beim ersten Versuch mit drei Monaten darauf reagiert wurde. In diesem Alter kann das Gehirn die Silben in Aspekte zerlegen.

Interessant wurde der zweite Versuch mit sechs Monaten: Jetzt reagierten die Kinder nicht mehr auf die Betonung, sondern nur auf die Sprachlaute pro Wort. Offenbar legt das Gehirn in dieser Entwicklungsphase eine Art Wörterbuch im Kopf an. Die Betonung wird als unwichtig zunächst beiseite gelegt.

Der erste Verarbeitungspfad ist aber nicht vergessen, denn mit neun Monaten führen die Kinder beide Pfade wieder zusammen. Sie verarbeiten dann Sprache ebenso wie Erwachsene.

Aus der Erwachsenenforschung ist bereits bekannt, dass gehörte Wörter zunächst vom Gehirn geteilt werden und zwar in Sprachlaute und Betonung. Beides wird aber binnen Sekundenbruchteilen zusammengeführt, sodass jeder einzelne von sich sagen würde, er hört das Wort im Ganzen.

Die Hirnströme zeigen jedoch, dass die Verarbeitung getrennt ist. Offenbar bilden alle Menschen im Säuglingsalter beide Pfade nacheinander aus und verknüpfen sie mit circa neun Monaten.