Koprolalie - Merkmale, Ursachen und Behandlung

Patienten mit einer Koprolalie neigen dazu, Wörter aus der Fäkalsprache auszusprechen, ohne dass sie dies unterdrücken können. Die Koprolalie ist ein häufiges Symptom beim Tourette-Syndrom, einer neurologisch-psychiatrischen Tic-Störung. Für Betroffene ist die Koprolalie mit einem großen seelischen Leidensdruck verbunden, da Mitmenschen meist mit Unverständnis auf die obszönen Äußerungen reagieren. Lesen Sie hier alles Wissenswerte zur Koprolalie.

Von Jens Hirseland

Koprolalie - Eine Definition

Der Begriff "Koprolalie" stammt aus dem Griechischen. Er setzt sich aus den Begriffen "Kopros" (Kot oder Dung) und Lalo (Reden) zusammen. Gemeint ist damit eine pathologische Neigung, beim Sprechen obszöne Wörter aus der Analregion zu verwenden.

Die Koprolalie ist ein neurologisch-psychiatrisches Symptom, das vor allem beim Tourette-Syndrom vorkommt. So zeigt sie sich bei ca. 30 Prozent aller Tourette-Patienten als vokale Tic-Störung.

Ohne dafür einen bestimmten Grund zu haben, bedient sich der Betroffene plötzlich der Fäkalsprache. Dabei kommt es zu einem impulsiven Zwang, dem die Patienten keinen Einhalt gebieten können.

So sind die üblen Schimpfwörter, die inmitten des normalen Sprachgebrauchs ohne Sinn und Zusammenhang auftauchen, keinesfalls bösartig gemeint. Auch die Auswahl der Worte findet zumeist ohne eigenen Willen statt. So handelt es sich bei den gebrauchten Ausdrücken auch nicht um Reaktionen von zuvor Gesagtem, sondern um unwillkürliche Äußerungen.

Die Koprolalie ist bereits seit längerem bekannt. Sie wurde bereits von dem französischen Psychiater Georges Gilles de la Tourette (1857-1904) beschrieben, dessen Patienten wiederholt auf die Fäkalsprache zurückgriffen.

Varianten der Koprolalie

Als Variante der Koprolalie gilt die Kopropraxie. In deren Verlauf neigen die Betroffenen dazu, den Stinkefinger zu zeigen und simulieren eine Masturbation.

Von einer Koprografie ist die Rede, wenn obszöne Wörter oder Bilder zu Papier gebracht werden.

Auswirkungen der Koprolalie auf die Betroffenen

Auf Menschen, die von der Koprolalie betroffen sind, wirkt sich die neurologisch-psychiatrische Störung überaus unangenehm aus, da sie oft zu ihrer sozialen Ausgrenzung führt. Obwohl sie ernsthaft bemüht sind, ihre Tic-Störung zu unterdrücken, gelingt dies nur selten.

Außenstehende, die nicht über die Koprolalie Bescheid wissen, reagieren oft mit Fassungslosigkeit und Unverständnis. Weil sie mit Empörung und Aggression auf die betroffene Person reagieren, hat dies oft soziale Ausgrenzung zur Folge.

Menschen, die unter der Tic-Störung leiden, sind häufig selbst über ihr Vorgehen erschrocken und ratlos. Sogar innerhalb von Familien kann die Neigung zur Fäkalsprache zu schweren Irritationen führen.

Ursachen der Koprolalie

Wodurch die Koprolalie entsteht, ließ sich bislang nicht eindeutig klären. In den meisten Fällen zeigt sie sich zusammen mit anderen psychiatrischen Erkrankungen wie dem Tourette-Syndrom, das häufig als Synonym für die Koprolalie gilt. Allerdings lässt sich das Tourette-Syndrom nicht ausschließlich auf das neurologisch-psychiatrische Syndrom reduzieren.

Eine Beeinträchtigung der Intelligenz liegt bei der Koprolalie nicht vor.

Koprolalie durch Tourette-Syndrom und andere neurologische Erkrankungen

Zu den häufigsten Auslösern der Koprolalie zählt das Tourette-Syndrom. Aus welchen Gründen die betroffenen Personen jedoch bei ihrer Wortwahl auf eine obszöne Fäkalsprache zurückgreifen, ist noch immer unbekannt.

Die Koprolalie tritt aber nicht nur beim Tourette-Syndrom auf, sondern auch bei anderen neurologischen Krankheiten wie einer Demenz, schweren Schädel-Hirn-Traumen, Gehirntumoren, Aphasie oder einer Gehirnentzündung (Enzephalitis).

Koprolalie durch unterschiedliche Sprachsysteme

Einige Mediziner vermuten, dass die Koprolalie auf zwei getrennte Sprachsysteme, die sich im Gehirn befinden, zurückgeht. So ist in der rechten Hirnhälfte das Sprachsystem für eine kultivierte Sprechweise angesiedelt. Das zweite System befasst sich mit emotionalen Lauten. Es wird angenommen, dass es im limbischen System zu finden ist. Nach dieser These ist das limbische System für das Entstehen eines Tourette-Syndroms verantwortlich. Allerdings geht das Tourette-Syndrom meist noch mit anderen Störungen wie ADHS einher.

Wann sollte man mit Koprolalie zum Arzt?

Körperliche Beeinträchtigungen zeigen sich durch die Koprolalie nicht. Daher ist eine medizinische Behandlung oder die Einnahme von Arzneimitteln nicht notwendig. Außerdem tritt die Koprolalie lediglich bei 30 Prozent aller Menschen auf, die unter dem Tourette-Syndrom leiden. Rufen die Tics jedoch einen ausgeprägten Leidensdruck hervor, ist es ratsam, einen Psychologen oder Psychiater aufzusuchen.

Diagnose der Koprolalie

Das Erstellen der Diagnose erfolgt anhand der beschriebenen Symptome. Allerdings kommt es nicht selten zum Übersehen von leichten Fällen, sodass manchmal sogar Jahre vergehen, bis die richtigen Auslöser für die Fäkalsprache erkannt werden.

Als wichtig gilt das Erfassen der Krankengeschichte, das Erheben des neurologischen Status, das Beschreiben der Lautäußerungen sowie das Ermitteln von eventuell begleitenden psychischen Störungen.

Behandlung der Koprolalie

Zur Behandlung vokaler Tics stehen verschiedene Arzneimittel zur Verfügung. Dazu zählen in erster Linie Neuroleptika. Sie entfalten ihre Wirkung auf das Zentralnervensystem (ZNS). In Deutschland wird vorwiegend auf Tiaprid zurückgegriffen. Ebenfalls hilfreich können Haloperidol, Risperidon und Pimozid sein, die jedoch zum Teil starke Nebenwirkungen aufweisen.

Die Dosis, die erforderlich für eine Besserung der Symptome ist, wird individuell vom Arzt festgelegt. Eine vollständige Heilung des Tourette-Syndroms ist allerdings noch immer nicht möglich. Wird die Koprolalie durch andere Erkrankungen wie Hirnschädigungen oder Demenz verursacht, erfordert dies eine Therapie der auslösenden Grundleiden.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten bei Koprolalie

Als hilfreich gegen Tic-Störungen oder eine Koprolalie gelten zudem verschiedene Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelentspannung und autogenes Training.

Ebenso können eine Verhaltenstherapie oder ein Biofeedbeck helfen. Dabei lernt der Patient, wie er sich selbst besser kontrollieren kann und statt der Fäkalsprache andere Wörter oder Handlungen benutzt, die bei den Mitmenschen für weniger Aufregung sorgen.

Als hilfreich gilt auch eine Musiktherapie, in deren Rahmen der Patient nicht nur Musik hört, sondern auch selbst lernt, ein Musikinstrument zu spielen.

Im Rahmen einer Psychotherapie können auch die Angehörigen der Betroffenen einen besseren Umgang mit der Tic-Störung erlernen.

Operative Hirnstimulation bei Koprolalie

In ausgeprägten Fällen ist mitunter ein operativer Eingriff wie eine Hirnstimulation möglich. Bei diesem Verfahren wird ein spezieller Hirnschrittmacher zur tiefen Stimulation des Gehirns eingesetzt. Die Operation findet in bestimmten Universitätskliniken statt und gilt in schweren Fällen als erfolgversprechend.

Was man bei Koprolalie selbst tun kann

Wer unter einer Koprolalie leidet, tut gut daran, seine Familie, Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen über diese Störung zu informieren. Weil die Tic-Störungen sich vor allem bei Stresssituationen zeigen, sollten die Betroffenen für Stressabbau sorgen und auf entspannende Techniken zurückgreifen. Die Koprolalie sollte nicht zum Rückzug vom sozialen Umfeld führen. Mit der Akzeptanz dieses Leidens ist bereits viel gewonnen.

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