Glutarazidurie

Bei Glutarazidurie handelt es sich um eine seltene Stoffwechselstörung, die angeboren ist. Sie wird durch einen Gendefekt verursacht.

Von Jens Hirseland

Glutarazidurie bezeichnet man auch als Glutarsäurekrankheit. Es wird zwischen Typ I und Typ II unterschieden.

Glutarazidurie Typ I

Spricht man von Glutarazidurie Typ I, ist damit eine lebensgefährliche Störung des Eiweißstoffwechsels gemeint. Die Krankheit kommt allerdings nur sehr selten vor und tritt bei Neugeborenen auf.

Ursachen

Verursacht wird die Stoffwechselstörung durch einen Defekt des Enzyms Gluraryl-CoA-Dehydrogenase. Aufgrund des Defekts können die Aminosäuren

  • Tryptophan
  • Hydroxylysin und
  • Lysin

nicht richtig abgebaut werden, was zur Folge hat, dass sich im Organismus Zwischenprodukte anreichern.

Katabole encephalopathische Krise

Dadurch besteht jedoch die Gefahr, dass dauerhafte Schäden am Gehirn auftreten. Größere Mengen an Zwischenprodukten sammeln sich an, wenn es beispielsweise zu

kommt. In diesem Fall spricht man von einer katabolen encephalopathischen Krise, bei der das erhöhte Risiko besteht, dass das Gehirn geschädigt wird.

Symptome

Bevor eine encephalopathische Krise ausbricht, gibt es bei den betroffenen Kindern keine Verhaltensauffälligkeiten oder Beschwerden. Doch schon durch eine einzige Krise können bestimmte Areale des Gehirns stark geschädigt werden.

Davon betroffen sind in erster Linie Hirnareale, die für die Bewegung zuständig sind. So verlieren schwer Erkrankte durch die Schädigungen die Fähigkeit zum Sprechen oder zum Bewegen.

Da sich die Gehirne von Babys und Kleinkindern noch in der Entwicklung befinden, sind sie besonders anfällig für Schäden. Entstehen jedoch in den ersten sechs Lebensjahren keine dauerhaften Gehirnschäden, kommt es im weiteren Verlauf nicht mehr zu encephalopathischen Krisen.

Es gibt einige mögliche Merkmale der Glutarazidurie Typ I, die jedoch so unspezifisch und nur vorübergehend sind, dass sie meist nicht auffallen. Dazu zählen bei Neugeborenen und jungen Säuglingen mitunter

  • eine leichte Muskelschwäche
  • eine leichte Asymmetrie bei Bewegungen sowie
  • ein großer Kopfumfang.

Im weiteren Verlauf kann es zu

kommen.

Diagnose

Diagnostizieren lässt sich Glutarazidurie Typ I im Rahmen eines Neugeborenen-Screening. Dabei untersucht man in Deutschland sämtliche Neugeborenen 48 bis 72 Stunden nach ihrer Geburt auf mögliche Stoffwechselstörungen. Durch ein spezielles Analyseverfahren, mit dessen Hilfe Stoffwechsel-Zwischenprodukte nachgewiesen werden können, lässt sich die seltene Erkrankung aufspüren.

Wird Glutarazidurie Typ I rechtzeitig erkannt und behandelt, lassen sich neurologische Langzeitschäden bei den betroffenen Kindern zumeist vermeiden. Wichtig ist, dass die Krankheit noch vor dem Ausbruch von Symptomen festgestellt wird.

Behandlung

Grundlage der Behandlung ist vor allem das Vermeiden der katabolen Krisen. Lässt sich das Ausbrechen einer solchen Krise bis zum 5. Lebensjahr verhindern, bleiben die erkrankten Kinder in der Regel von motorischen Behinderungen verschont.

Darüber hinaus verabreicht man ihnen das Medikament Carnitin. Dieses fördert die Ausscheidung von schädlichen Stoffwechselprodukten.

Bei der Therapie wird die Zufuhr von Lysin eingeschränkt, indem die Kinder eine spezielle lysinarme Diät erhalten. Ebenso hilfreich ist eine verringerte Eiweißzufuhr. In der folgenden Tabelle erhalten Sie einen Überblick über die Empfehlungen für Lysin- und Nährstoffzufuhr.

Pro kg Körpergewicht0-6 Monate7-12 Monate1 Jahr2 Jahre3 Jahre4 Jahre5 Jahre
Lysinmg1009080706050-5550-55
Eiweißg1,3-0,81,0-0,80,80,80,80,80,8
Energiekcal115-8295-8295-8295-8095-8095-7890-78

Kommt es zu katabolen Zuständen wie Durchfall oder fieberhaften Infektionen, ist eine erhöhte Energiezufuhr durch energiereiche Lösungen erforderlich. Fiebersenkende Maßnahmen sowie die vermehrte Zufuhr von Flüssigkeit zählen zu den weiteren Vorgehensweisen.

Glutarazidurie Typ II

Bei Glutarazidurie Typ II handelt es sich um einen vererbten Defekt des Elektrotransfer-Flavoproteins. Dieser hat einen multiplen Mangel an dem Enzym Acyl-CoA-Dehydrogenase zur Folge, wodurch der Abbau von verschiedenen Aminosäuren wie

  • Leucin
  • Valin
  • Lysin und
  • Tryptophan

gestört wird.

Symptome

Durch Glutarazidurie Typ II kommt es zu

  • Hirnfehlbildungen
  • Gesichtsfehlbildungen
  • Epilepsie
  • Myopathie und
  • Zysten-Nieren.

Zu den typischen Merkmalen der Krankheit gehört auch eine fortschreitende Enzephalopathie. In den meisten Fällen hat Glutarazidurie Typ II in den ersten Lebenswochen der Neugeborenen einen tödlichen Verlauf.

Behandlung

Um katabole Zustände zu verhindern, erhalten die betroffenen Babys eine fettarme Diät sowie D3-Hydroxybutyrat und Riboflavin. Allerdings liegen bislang noch keine gesicherten Studien über die Behandlung von Glutarazidurie Typ II vor.

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