Adrenogenitales Syndrom (AGS)

Als Adrenogenitales Syndrom bezeichnet man eine Stoffwechselerkrankung, die genetisch bedingt ist. Verursacht wird sie durch einen Enzymmangel.

Von Jens Hirseland
Klassifikation nach ICD-10: E25.0
ICD-10 ist ein weltweit verwendetes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Der sogenannte ICD-Code ist zum Beispiel auf einem ärztlichen Attest zu finden.

Entstehung und Folgen

Unter dem Begriff "Adrenogenitales Syndrom (AGS)" fasst man eine Reihe von Stoffwechselkrankheiten zusammen, die angeboren sind. Es handelt sich um eine bestimmte Form der Nebenniereninsuffizienz. Dabei liegt eine Störung der Hormonbildung in der Nebennierenrinde vor, da entsprechende wichtige Enzyme fehlen.

Fünf Typen

Beim Adrenogenitalen Syndrom besteht ein Enzymmangel, der zur Folge hat, dass die Bildung von bestimmten Hormonen der Nebennierenrinde wie Mineralokortikoiden und Glukokortikoiden gestört wird. Dagegen kommt es zur übermäßigen Bildung von Androgenen.

Je nachdem, welches Enzym betroffen ist, spricht man von fünf Typen des Adrenogenitalen Syndroms:

  1. Typ 1 betrifft das StAR-Protein oder - es gibt nur einen bekannten Fall - die Cholesterin-Monooxygenase
  2. Typ 2 betrifft die 3beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase
  3. Typ 3 betrifft die 21-Hydroxylase
  4. Typ 4 betrifft die 11-beta-Hydroxylase und
  5. Typ 5 betrifft die 17alpha-Hydroxylase.

Typ 3 stellt die häufigste Form dar. Bei Enzymen handelt es sich um Eiweißstoffe des Körpers. Diese sind wichtig für diverse Stoffwechselvorgänge.

So wandeln sie beispielsweise die Vorstufe eines Hormons in eine aktive Form um. Kommt es jedoch zu einem angeborenen Enzymmangel, lassen sich bestimmte Schritte, die wichtig für die Bildung von Nebennierenrindenhormonen wie Aldosteron oder Kortisol sind, nicht oder nur unzureichend ausführen.

Der Mangel an Glukokortikoiden und Mineralokortikoiden führt dazu, dass die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) vermehrt ACTH produziert. Dabei handelt es sich um ein Hormon, das wiederum die Bildung von Hormonen in der Nebennierenrinde anregt. Da jedoch ein Mangel an 21-Hydroxylase besteht, kommt es nicht zur Ankurbelung der Synthese von Aldosteron und Kortisol, sondern stattdessen von männlichen Sexualhormonen in der Nebennierenrinde.

Auf einen Blick: aufgrund des Enzymmangels kommt es zu folgenden Veränderungen:

  • einer verminderten Produktion von Aldosteron und Kortisol
  • der Ausschüttung von ACTH
  • der vermehrten Bildung von männlichen Geschlechtshormonen
  • der Entgleisung von Wasser- und Salzhaushalt

Verlaufsformen und Symptome

Wie schwer ein Adrenogenitales Syndrom verläuft, hängt von dem Grad des Enzymmangels ab. Mediziner unterscheiden zwischen drei Formen:

  1. dem klassischen AGS mit Salzverlust
  2. dem klassischen AGS ohne Salzverlust sowie
  3. dem nicht-klassischen Late-onset-AGS.

Klassische Form

Mädchen

Bei der klassischen Form kommt es bei weiblichen Babys zu einer Vermännlichung ihrer Geschlechtsorgane. Dabei vergrößert sich die Klitoris, während sich die inneren Geschlechtsorgane wie Eierstöcke, Eileiter und Gebärmutter hingegen normal ausbilden. Ohne eine Behandlung wird die Vermännlichung später noch ausgeprägter und führt sogar zu Unfruchtbarkeit.

Jungen

Bei männlichen AGS-Betroffenen zeigen sich zunächst keine Auffälligkeiten. Erfolgt jedoch keine entsprechende Therapie, setzt im weiteren Entwicklungsverlauf eine so genannte Pseudopubertät ein. Dabei vergrößert sich frühzeitig der Penis, während die Hoden jedoch klein bleiben.

Beide Geschlechter

Beide Geschlechter haben gemeinsam, dass es bei ihnen zu beschleunigtem Wachstum kommt. Da sich jedoch gleichzeitig die Wachstumszonen der Knochen schneller als üblich schließen, hat dies letztlich Kleinwuchs zur Folge.

Darüber hinaus leidet die Hälfte der AGS-Patienten unter dem Verlust von Salz. Da es an Mineralokortikoiden im Körper fehlt, kommt es zu einem Mangel an Flüssigkeit und Natrium. Dagegen häuft sich Kalium im Organismus an.

So besteht bereits in den ersten Lebenswochen die Gefahr eines lebensgefährlichen Salzmangels, durch den die betroffenen Kinder, die unter Durchfall und Erbrechen leiden, ausgetrocknet werden.

Nicht-klassische Late-onset-AGS

Bei der nicht-klassischen Late-onset-AGS wirkt sich der Enzymmangel erst im fortgeschrittenen Alter aus.

Mädchen

Bei Mädchen kommt es zur

Jungen

Jungen leiden ebenfalls unter Akne und vorzeitiger Schambehaarung sowie unter Unfruchtbarkeit. Darüber hinaus liegt eine geringfügige Kleinwüchsigkeit vor.

Diagnose

Im Rahmen der Diagnose wird das äußere Geschlecht des Neugeborenen im Rahmen einer körperlichen Untersuchung beurteilt. Bei keinen eindeutigen weiblichen oder männlichen Geschlechtsmerkmalen ist eine Abklärung des Geschlechts notwendig; hierzu zählen

  • eine gründliche Anamnese mit Bezugnahme auf andere Familienmitglieder, die möglicherweise erkrankt sind
  • die Beurteilung des Schwangerschaftsverlaufs sowie
  • die Chromosomenanalyse zur Aufdeckung eines Enzymmangels.

Des Weiteren erfolgt die Untersuchung verschiedener Laborwerte, wie zum Beispiel des Enzyms 17-Hydroxy-Progesteron, welches bei Erkrankung erhöht ist. Dessen Stoffwechselprodukt Pregnantriol kann man im Urin nachweisen. Ebenfalls erhöht ist der Testosteronspiegel.

Liegt ein adrenogenitales Syndrom mit Salzverlust vor, werden im Blut ein niedriger Natriumwert, ein hoher Kaliumwert sowie ein Abfall des pH-Wertes im arteriellen Blut (unter 7,36) nachgewiesen. Letzteren bezeichnet man als metabolische Azidose.

Behandlung

Um ein Adrenogenitales Syndrom zu behandeln, ist eine Substitutionstherapie erforderlich. Das bedeutet, dass man den Patienten die benötigten Hormone medikamentös verabreicht.

Zu diesem Zweck erhalten sie Tabletten, die sie ihr ganzes Leben lang einnehmen müssen. Dabei handelt es sich um Hydrokortison; besteht ein Salzverlust, sind zusätzlich Mineralkortikoide notwendig.

Zudem benötigt jeder AGS-Patient einen Notfallausweis. In bestimmten, belastenden Situationen, wie zum Beispiel beim Sport oder viel Stress kann es zu einem lebensgefärhlichen Kortisonmangel kommen.

Betroffene Mädchen können eine geschlechtsangleichende Operation erhalten. Die Vermännlichung der äußeren Geschlechtsteile bei einem Fötus kann man durch die Einnahme von Dexamethason ab der 5. bis 6. Schwangerschaftswoche verhindern.

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