Polyneuropathie - Ursachen, Symptome und Behandlung

Die Polyneuropathie ist eine Nervenerkrankung, die unterschiedlichste Symptome verursachen kann. Die Diagnostik ist demzufolge umfangreich. Eine Polyneuropathie kann viele verschiedene Ursachen haben. Häufig kann die Krankheit nicht geheilt werden.

Von Claudia Haut
Klassifikation nach ICD-10: G61 G62 G63
ICD-10 ist ein weltweit verwendetes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Der sogenannte ICD-Code ist zum Beispiel auf einem ärztlichen Attest zu finden.

Krankheitsbild

Bei einer Polyneuropathie handelt es sich um eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, von der motorische, sensible und vegetative Nerven betroffen sind. Nervenfasern, -endigungen und -ummantelungen sind zerstört, sodass es zu Bewegungs- und Empfindungsstörungen, besonders in den Extremitäten, kommt.

Man unterscheidet verschiedene Formen der Polyneuropathie:

  • erworbene Polyneuropathie
  • autonome Polyneuropathie und
  • angeborene Polyneuropathie

Meistens sind die Beine einschließlich der Füße betroffen.

Ursachen

Man unterscheidet mehr als zweihundert verschiedene Ursachen der Polyneuropathie. Nicht bei allen Patienten kann jedoch auch die Ursache der Krankheit herausgefunden werden.

Grundsätzlich können zwei verschiedene Gruppen von Polyneuropathie unterschieden werden: Die Krankheit kann sowohl angeboren als auch mit der Zeit erworben sein. Dabei kommen die erworbenen Polyneuropathien wesentlich häufiger vor als die angeborenen.

Erworbene Polyneuropathie

Sehr häufig kommt die so genannte diabetische Polyneuropathie vor. Grunderkrankung ist hier die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus. Diabetespatienten, deren Blutzucker nur unzureichend eingestellt, deren Blutdruck zu hoch und/oder deren Cholesterinspiegel zu hoch ist, haben ein höheres Risiko, an diabetischer Polyneuropathie zu erkranken als andere Diabetiker.

Auch der Alkohol kann ursächlich für eine Polyneuropathie verantwortlich sein. Aufgrund ihrer Sucht ernähren sich die Patienten falsch, so dass daraus eine Schädigung des Rückenmarks und in der Folge eine Polyneuropathie entstehen kann.

Auch schwere Nierenerkrankungen, die zur Dialyse führen, können die Ursache einer Polyneuropathie sein. Dadurch, dass die Nieren nicht mehr richtig arbeiten, werden Substanzen im Körper abgelagert, die normalerweise mit dem Urin wieder ausgeschieden werden müssen. Diese verursachen die Polyneuropathie.

Weitere Ursachen können auch

sein.

Angeborene Polyneuropathie

Bei der angeborenen Polyneuropathie spielen je nach Form unterschiedliche Auslöser eine Rolle:

  • familiäre Amyloidneuropathie (Ablagerung veränderter Eiweiße)
  • hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN) (verminderte Nervenleitgeschwindigkeit)
  • chromatische Leukodystrophie (gestörter Fettstoffwechsel aufgrund von Enzymdefekt)
  • akute intermittierende Porphyrie (Polyneuropathie als gleichzeitige Erkrankung).

Verlauf

Eine Polyneuropathie kann nur dann gut behandelt werden, wenn die Grunderkrankung herausgefunden wird und die Polyneuropathie frühzeitig diagnostiziert wird. Eine Heilung ist auch abhängig davon, wie weit die Polyneuropathie bereits fortgeschritten ist. Häufig können Patienten mit Polyneuropathie nur eine Linderung ihrer Beschwerden erreichen und lernen, damit so gut wie möglich zu leben.

Die Sensibilitätsstörungen, die ein typisches Merkmal der Erkrankung sind, betreffen am ehesten die längsten Fasern, was sich meist zunächst an den Zehen bemerkbar macht. Im weiteren Krankheitsverlauf sprechen die Patienten von "socken- oder handschuhförmigen" Missempfindungen.

Bei der Polyneuropathie kommt es zu Fehlinformationen über den Grad der Muskelanspannung, den Druck, der beim Auftreten ausgeübt wird sowie die Gelenkstellungen. Aufgrunddessen kommt es häufig zu einer peripher bedingten, ataktischen Koordinationsstörung, welche sich dadurch bemerkbar macht, dass der Betroffene besonders mit geschlossenen Augen nicht mehr sicher gehen kann.

Symptome

Erworbene Polyneuropathie

Die Patienten spüren ein Kribbeln in den betroffenen Körperteilen, als würden tausende Ameisen darüber laufen. Zusätzlich fühlen sich die betroffenen Gliedmaßen taub an und die Patienten bemerken teilweise nicht einmal, wenn sie sich gestoßen haben.

Die Muskeln der Beine bewegen sich unwillkürlich, ohne dass der Patient dies beeinflussen könnte. Die Patienten haben daher auch ein unsicheres Gefühl beim Gehen. Die Beine fühlen sich häufig auch schwer an und selbst die Bettdecke auf den Beinen empfinden die Patienten als unerträglich.

Nachts können auch Wadenkrämpfe in den Beinen auftreten. An den von der Polyneuropathie betroffenen Körperstellen empfinden die Patienten oftmals auch nur mäßige Temperaturunterschiede und im Verlauf der Erkrankung spüren die Patienten diese gar nicht mehr.

Autonome Polyneuropathie

Eine Polyneuropathie kann auch Herzbeschwerden und Blutdruckschwankungen verursachen. Zusätzlich können Verdauungsbeschwerden wie Verstopfung und Durchfall bestehen. Auch Impotenz oder eine Blasenstörung können Symptome einer Polyneuropathie sein.

Angeborene Polyneuropathie

Bei der vererbten Polyneuropathie treten zusätzlich Symptome und Beschwerden wie

usw. auf.

Diagnose

Anamnese

Die Krankengeschichte des Patienten ist bei der Diagnose von großer Wichtigkeit. Hinweise auf

  • einen bestehenden Diabetes
  • neurologische Erkrankungen in der Familie
  • bekannte infektiöse Erkrankungen oder
  • eine Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit

können Rückschlüsse auf die Erkrankung geben.

Körperliche Untersuchungen

Wenn ein Patient diese Symptome schildert, erfolgt eine umfassende Untersuchung, um die Ursache der Polyneuropathie herauszufinden. Der Arzt führt dazu zuerst eine körperliche Untersuchung durch und misst Puls und Blutdruck.

Dabei kann der Arzt feststellen, dass der Herzschlag krankhaft verändert ist. In Ruhe ist der Puls erhöht, unter Belastung jedoch steigt er nur geringfügig an. Der Arzt führt dann auch ein

durch. Dabei fallen meist Herzrhythmusstörungen auf.

Laboruntersuchungen

Hat der Patient als Grunderkrankung Diabetes, sind erhöhte Blutzuckerwerte feststellbar. Auch im Urin befindet sich dann Glucose.

Liegt Alkoholismus als Grunderkrankung vor, so sind erhöhte Leberwerte auffällig. Im Rahmen der Blutuntersuchung kann der Arzt weitere Krankheiten als Ursache für die Polyneuropathie ausschließen, wie zum Beispiel HIV oder eine Borreliose.

Auch auf

wird das Blut untersucht. Sowohl das Blut als auch der Urin werden auf Spuren von aufgenommenen Giften getestet. Besteht der Verdacht auf Borreliose als Ursache der Erkrankung, wird zudem eine Lumbalpunktion durchgeführt.

Neurologische Untersuchungen

Neben den allgemeinen körperlichen Untersuchungen zur Diagnostik der ursächlichen Erkrankung werden auch neurologische Untersuchungen durchgeführt. Hier prüft der Arzt die verschiedenen Reflexe sowie die Kraft der Muskeln.

Auch die Nerven werden mit speziellen Untersuchungsmethoden getestet und gemessen. Im Rahmen der Elektroneurografie ermittelt man die Nervenleitgeschwindigkeit sowie die Reaktionszeiten der Nerven; dafür stimuliert man sie mit elektrischen Reizen. Zeigen sich die Reaktionen verlangsamt, spricht dies für eine Polyneuropathie.

Zur neurologischen Untersuchung zählt auch ein Sensibilitätstest, bei dem der Arzt die Reaktionen auf Wärme, Kälte sowie die auf stumpfe und spitze Gegenstände überprüft. Im Rahmen des Stimmgabeltests wird getestet, inwieweit der Patient Vibrationen an den Füßen wahrnehmen kann.

Behandlung

Um eine Polyneuropathie zu behandeln, gilt es vor allem, die verursachenden Faktoren zu beseitigen.

  • Diabetes

Patienten, die an einer diabetischen Polyneuropathie leiden, benötigen konstante Blutzuckerwerte. Diese werden durch eine entsprechende Tabletten- oder Insulintherapie sowie eine konsequente Ernährung erreicht.

Die Patienten erhalten dazu spezielle Diabetesschulungen, die in Arztpraxen und Krankenhäusern angeboten werden. Zusätzlich erhalten die Patienten Medikamente gegen die Symptome der Polyneuropathie.

  • Alkoholsucht

Liegt die Ursache der Polyneuropathie im Alkohol, so muss der Patient völlig auf Alkohol verzichten. Dies kann oftmals nur durch eine entsprechende Entgiftungsmaßnahme erreicht werden, die -je nach Ausmaß der Alkoholsucht- ambulant oder stationär durchgeführt wird.

Zusätzlich erhalten die Patienten meist Vitamin B1 verabreicht, das sich bei dieser Form der Polyneuropathie positiv auf die angegriffenen Nerven auswirkt. Die Patienten erhalten dadurch auch eine Schmerzlinderung.

  • Diphtherie

Ist die Polyneuropathie die Folge einer Erkrankung wie Diphtherie, so erhält der Patient ein Antibiotikum verordnet.

Mittel und Verfahren

  • Antidepressiva

Da die Patienten meist durch ihre Erkrankung psychisch stark angegriffen sind, verordnet der Arzt häufig auch Medikamente gegen Depressionen, so genannte Antidepressiva. Daneben gibt es jedoch auch weitere Präparate, die zur Linderung der Beschwerden bei einer Polyneuropathie beitragen.

  • Selbsthilfegruppen

Für die Patienten mit verschiedenen Formen der Polyneuropathie gibt es spezielle Selbsthilfegruppen. Hier können die Patienten Kontakt zu Gleichgesinnten knüpfen und Erfahrungen austauschen.

  • Physiotherapie

Neben der medikamentösen Therapie benötigen die Patienten auch eine umfassende Physiotherapie. Die Patienten erlernen hier Übungen, um möglichst lange beweglich zu bleiben und auch ihre Einschränkungen im Bereich der Motorik im Griff zu haben. Der Patient erhält dazu verschiedene Therapien aus dem Bereich Physiotherapie wie Krankengymnastik, Massagen oder Bewegungsbäder.

  • Hochfrequente Muskelstimulation (Hochtontherapie)

Eine wietere Behandlungsmöglichkeit bietet die Hochtontherapie, die bei diabetischer Polyneuropathie eingesetzt wird. Hierbei kommt es zur Muskelstimulation durch elektrische Wechselfelder im Frequenzbereich von etwa 4 bis 30 Kilohertz.

In mehreren Studien wurd die Wirksamkeit dieser Methode als gut befunden. Allerdings treten die Beschwerden nach einigen Tagen der Behandlung erneut auf, sodass die hochfrequente Muskelstimulation als Dauertherapie angewandt werden sollte, und zwar dreimal pro Woche für 30 Minuten.

Übungen für die Selbstbehandlung

Um das Gleichgewicht sowie die Fußstrategie zu verbessern, bieten sich verschiedene Übungen an, die der Patient auch zuhause anwenden kann. Hilfreich ist zum Beispiel die Fußschaukel.

Dabei stellt man sich vor einen Tisch oder eine Küchenablage und bewegt die Hüfte abwechselnd vor und zurück, sodass man abwechselnd auf den Fersen und Zehen steht. Zunächst hält man sich dabei am Tischrand fest; mit der Zeit probiert man es ohne Festhalten.

Eine weitere Übung ist das Stehen mit geschlossenen Augen. Hierfür stellt man sich neben Tisch oder Ablage, schließt die Augen und versucht, einfach stehen zu bleiben. Auch bei dieser Übung steigert man den Schwierigkeitsgrad durch späteres Loslassen; zudem setzt man nach und nach die Füße immer mehr zusammen.

Manuelle Fußstimulation

Zur Stimulation der Rezeptoren, die sich an den Fußsohlen befinden und mitunter für die Muskelaktivität beim Gehen sowie das Halten des Gleichgewichts verantwortlich sind, eignen sich kleine Hilfsmittel. Mit

kann der Patient mit etwas Gewicht seine Fußsohlen massieren. Zudem hat sich auch das Gehen sowie Barfußgehen auf unterschiedlichen Oberflächen als hilfreich bewährt. Diabetiker sollten darauf aufgrund der Verletzungsgefahr jedoch verzichten.

Vorbeugung

Um einer Polyneuropathie vorzubeugen, sollten Grunderkrankungen konsequent behandelt werden. Diabetiker sollten darauf achten, immer konstante Blutzuckerwerte zu haben und sollten regelmäßig an Diabetesschulungen teilnehmen. Um nicht in den Alkoholismus zu rutschen, sollte Alkohol nur in Maßen genossen werden.

Angeborene Polyneuropathien sollten so früh wie möglich diagnostiziert werden; teilweise ist dies bereits noch während der Schwangerschaft möglich. Paare mit Kinderwunsch, die an dieser Form leiden, können sich auch im Vorfeld darüber informieren, wie leicht sich die Krankheit auf ein Baby vererben würde.

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  • Malte Ludwig Repetitorium für die Facharztprüfung Innere Medizin: Mit Zugang zur Medizinwelt, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2017, ISBN 3437233165

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