Soziale Phobie oder Asperger?

Hallo!

Ich hoffe, es ist okay, dass ich hier einfach so hereinplatze. Ich weiß nicht so recht, an wen ich mich sonst wenden könnte.
Ich bin Nina, 30 Jahre alt und komme aus Berlin. Ich war schon wegen Panikattacken in Behandlung und bin es zur Zeit noch/wieder wegen Depressionen (sowohl Psychotherapie, also Analyse, als auch beim Psychiater zwecks Pharmakotherapie). Meine erste Therapie hab ich allerdings mit 17 Jahren gemacht wegen sozialer Ängste. Diese sind es auch, über die ich mehr oder weniger irgendwann auf das Thema Asperger stieß.

Nun ist es so, dass ich bis heute nicht wirklich das Gefühl hab, dass mir die Therapien wirklich viel gebracht haben (bis auf die Verhaltenstherapie bei den Panikattacken), und das Gefühl, dass ich anders bin, begleitet mich eigentlich schon so lang ich denken kann. Gerade in letzter Zeit haben mich wieder zwei Leute, die ich neu kennengelernt hab, als "ulkig" bezeichnet - ich weiß nicht, was das genau bedeuten soll ;).

Also die DInge bezüglich AS, von denen ich denke, dass ich mich sehr darin wiederfinde, sind folgende:

- Ich habe extreme Probleme mit Blickkontakt, vor allem bei Fremden. Inzwischen ist es bei Freunden besser geworden, aber ich gucke anderen nicht "selbstverständlich" in die Augen bzw. weiß, dass es einen natürlichen Rhythmus geben muss, in dem man das "automatisch" macht - ich muss es eigentlich immer bewusst einsetzen.
- Ich habe irgendwie sehr oft extreme Probleme mit Körperkontakt. Meine Mutter meinte, ich wollte als Kind nie kuscheln, und das will ich immernoch nicht ;). Auch nicht mit meinem Freund. Vor allem, wenn ich mich nicht wohlfühle oder mich geärgert habe oder jemanden nicht kenne finde ich Körperkontakt total unangenehm, fast "schmerzhaft". Ich kann aber auch gute Freunde wirklich herzlich umarmen, wenn mir danach ist.
- Ich brauche sehr viel Zeit allein. Wenn ich die nicht bekomme, und das Gefühl habe, dass mich jemand vereinnahmt, erlebe ich eine extreme innere Spannung, die ich nicht wieder abbauen kann. Soziale Interaktion - auch mit Menschen, die ich sehr mag - raubt mir immer Energie.
- Ich hasse Small Talk, und weiß in Small Talk-Situationen nie, was ich sagen soll. Außerdem kann ich nicht einschätzen, welche Informationen in solchen Situationen angebracht sind - manchmal sage ich dann wohl zu persönliches oder so. Aber ich weiß oft schon, wann Small Talk "gefordert" wäre - im Fahrstuhl zum Beispiel im Büro - aber diese Situationen sind sehr unangenehm. Kann aber auch einfach nur die soziale Phobie sein.
- Ich stehe bei Witzen oft auf dem Schlauch und lache tatsächlich als letzte, wenn überhaupt. Manchmal lache ich auch so mit, weil ich nicht sagen will, dass ich den Witz nicht verstanden habe.
- Wenn ich z.B. U-Bahn fahre mache ich mir seit eh und je Gedanken, wo ich sitzen kann (am besten nicht neben Leuten), und habe ein System, welcher PLatz am besten ist ;)...also: am besten nicht im 4-er-Abteil, sondern in den Bänken gegenüber, wo man leichter rauskommt, ohne Leute fragen zu müssen. Und dort am besten am Rand, wo man nur zu einer Seite eine Person hat. Ich überlege auch ein paar Stationen vorher, wie ich durchkomme, welche Leute ich fragen muss, um durchzukommen und so. Das kann aber aber auch wieder die soziale Phobie sein. Allerdings hat sich das auch durch wirklich viel, viel, viel Übung nicht verändert oder gebessert - es bleibt einfach gleich.
- Ich hasse es, bei fremden Menschen anrufen zu müssen (im Büro) oder bei Behörden oder Ärzten etc. Ich überlege mir vorher genau, was ich sagen soll (auch an Schaltern oder so), aber wenn das Gespräch davon abweicht, bin ich überfordert. Ich glaube, ich habe ein Gefühl dafür, wann ich mich sprechen "dran" bin, aber ich kriege das Timing oft nicht hin....
- Vor allem, wenn ich in der Öffentlichkeit bin, bin ich sehr trampelig. Ich trete Leuten aus Versehen auf die Füße und so. Und irgendwie merke ich selbst, dass meine Bewegungen steif und unnatürlich sind. Das ist aber nicht mehr so, wenn ich Leute sehr gut kenne.
- Ich habe große Probleme mit Veränderungen - vor allem, wenn sie nicht von mir herbeigeführt wurden. Dann fühle ich mich innerlich sehr, sehr angespannt. Wenn ich mich aber wieder daran gewöhnt habe, dann geht mir gut (auch, wenn die Veränderung negativ war).

Es gibt aber auch Dinge, die meines begrenzten Wissens nach dagegen sprechen, und zwar diese:
- Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, dass ich schon einige Gesichtsausdrücke deuten kann. Wobei es eher so ist, dass ich z.B. sehe, dass jemand irgendetwas hat, und das nicht sagen kann, ob die Person traurig, enttäuscht, wütend etc. ist - ich frage dann nach. Wenn jemand weint, dann weiß ich aber auch, dass von mir erwartet wird, dass ich tröste.
- Ich benutze selbst ziemlich viel Mimik, wenn ich mit der Außenwelt interagiere, bzw. mit Menschen, die ich nicht kenne. Weil ich das Gefühl habe, dass ich eben KEINE normalen Reaktionen zeige, benutze ich sehr extremes Lachen oder so, damit die Leute das erkennen. Ich kann das nicht gut erklären, aber ich glaube, meine Freunde würden sagen, dass ich sehr viel Mimik benutze. Das ist ein Punkt, weshalb ich dachte, ich kann wohl kein AS sein.
- Ich bin - auch laut meinen Freunden - wohl sehr empathisch, wohl zum Teil mehr als andere. Also wenn es einer Freundin schlecht geht, dann höre ich sehr lange zu und so und versuche auszudrücken, dass es mit sehr leid tut, dass es ihr schlecht geht. Mit tut es auch leid, allerdings kann ich nicht sagen, dass ich so reagieren würde, wenn es nicht von mir erwartet würde - kann ich schwer erklären. Es gab aber auch Situationen, in denen ich wohl nicht erkannt habe, dass jemand emotionale Unterstützung braucht, und habe deswegen eine Freundin verloren.
- Als ich klein war hatte ich viele Kuscheltiere, aber nur einen Teddy, mit dem ich immer gekuschelt habe. Der musste in einer bestimmten Position im Arm liegen, damit ich schlafen kann. Die anderen Kuscheltiere taten mir dann leid, weil ich ihnen weniger Aufmerksamkeit gewidmet habe, und dann habe ich sie der Reihe nach gestreichelt, damit sie nicht so traurig sind - das fällt wohl z.B. auch unter Empathie, oder? (ich will auch nicht sagen, dass AS nicht empathisch sein können!!)

Ich wollte mich mal nach eurer Meinung erkundigen - beziehungsweise nach eurem Eindruck zu mir. Ich weiß, dass es hier NICHT um eine Diagnose geht! Mir wäre nur eure Meinung wichtig.

Antworten (1)
@halfjillhalfjack

Hallo, jack/jill,
willkommen im Forum von Paradisi! Natürlich ist es SEHR okay, dass Du hier "reinplatzt" - wenn es nicht ab und zu neue User gäbe, könnten wir bald Paradisi zumachen und einen "Club der letzten 4 bis 5 getreuen Paradisi-User" aufmachen.

Zu Deinem Anliegen:
Da ich keine psychologische Ausbildung habe, außer dem angelesenen Laienwissen, das man so hat, kann und will ich Dir keinen "medizinischen" Rat geben. Aber Du hast ja mehr nach unserem "Eindruck" von Dir gefragt.

Zuerst mal mein Eindruck von Dir: Du beobachtest Dich und andere, wie ich finde, sehr genau und kannst dies auch gut beschreiben. Im Gegenteil zu einer mangelnden Empathie scheinst Du sehr feinfühlig zu sein, gibst dies aber nicht so "nach außen". Du stehst anscheinend manchmal "neben Dir" und beobachtest Dich bei dem, was Du tust und bist Dir dabei selber irgendwie fremd.

Ich kann nur sagen, dass mir persönlich das alles sehr bekannt vorkommt, was Du so an Alltagsbeobachtungen, Deinen Empfindungen und Deinem Verhalten beschreibst, wenn es auch bei mir nicht ganz so stark war wie von Dir beschrieben. Ich sage "war", weil es sich im steigenden Alter (bin jetzt 49) etwas gelegt hat. Aber ich tu mich immer noch mit Fremden, überraschenden Situationen, Gesprächssituationen wie Telefonaten oder ähnlichem schwer. Ein paar Beispiele aus meiner Jugend (Schulzeit, so im Alter von 10 bis 19 Jahren):

Ich habe oft versucht, den Leuten, die mir auf der Straße beim Gehen entgegenkommen, bewusst mal in die Augen zu schauen. Wenn ich das tat, stiegen mir regelmäßig Tränen in die Augen, so als ob ich etwas täte, was mir zuwider ist oder wessen ich mich schämen müsste (oder dass andere etwas über mich wissen, mir sozusagen überlegen sind).

Ich hatte ganz wenige Freunde, wahrscheinlich nie einen richtigen Freund. Mir hat auch das nie Spaß gemacht, was andere so taten (z.B. herumtoben, im Winter auf Eisflächen schlittern oder so), wollte da nicht mitmachen, lieber alleine im Eckchen sitzen und was lesen oder basteln. Oft habe ich dann gute Mine zum bösen Spiel gemacht und nur mitgemacht, damit ich mich in ihren Augen nicht noch unmöglicher mache.

In Gesprächen mit anderen bemerkte ich oft (und auch noch heute), dass ich in meinen Meinungen oder Argumenten oft übertreibe, alles noch dazu mit starken Gesten unterstützt, und dann denke ich mir noch während des Sprechens: "Das will ich doch gar nicht wirklich sagen; das bin ich doch gar nicht selbst..."


Früher hat man aber noch nicht viel von Autismus oder Asperger gelesen, weshalb ich von mir aus nie auf die Idee gekommen wäre, dass mein Empfinden vielleicht damit zusammenhängen könnte. Ich habe es zu einem großen Teil auf meine Erziehung bzw. darauf, wie ich aufgewachsen bin, geschoben, dass ich mich so verhalte, und ein paar prägende Faktoren als "Entschuldigung" ausgemacht, die ich Dir kurz beschreiben will. Vielleicht erkennst Du Dich in manchen Dingen ja auch wieder:

Ich wurde sehr restriktiv erzogen. War von Anfang an sehr schlecht in Sport, bin auch nie auf Bäume geklettert oder ähnliches. Ich wollte mich auch nie "schmutzig machen", hatte auch Angst davor, dass meine Eltern deswegen schimpfen würden oder Schlimmeres (bei uns wurde noch geprügelt). Durch diese "Körperfremdheit" und Unsportlichkeit war ich auch in der Schule ein ziemlicher Außenseiter, vor allem auch, weil ich einerseits ziemlich gute Noten schrieb, andererseits ein ziemliches geringes Selbstbewusstsein hatte. Ich habe noch heute manchmal Schwierigkeiten, gut abschätzen zu können, was ein anderer fühlt, wie er reagieren wird, wenn ich etwas bestimmtes sage oder tue (hab gerade heute wieder eine Kollegin von mir dadurch buchstäblich zum Weinen gebracht, aber das war das erste Mal, das so etwas passiert...). Ich führe dies auf den Umstand zurück, dass ich in der sozial sensiblen Phase der Pubertät und der Jugend kaum soziale Kontakte nach außen hatte, an denen man hätte "trainieren" können.

Du siehst, nicht alles muss unbedingt ein Asperger-Syndrom darstellen, sondern viele Verhaltensweisen und Denkmuster der Menschen werden einfach durch Umwelt, Erziehung und den eigenen Charakter geprägt. Und für den einen oder anderen wirkt es halt dann "ulkig" (das finde ich übrigens noch eine der gelinderen Attribute, die die Gesellschaft nonkonformen Menschen anhängen können), weil das Verhalten nicht den Erwartungen der Masse entspricht.

Jetzt hab ich mehr über mich als über Dich ausgesagt, aber vielleicht hilft es Dir ja irgendwie. Mein Fazit ist: nicht alles Außergewöhnliche ist gleich pathologisch - und jeder ist auf seine Art ein wenig "crazy"...;-)

Alles Gute für Dich,
marsupi

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