Die emotionalen Entwicklungszyklen in einer Fernbeziehung

Viel mehr Paare als früher führen heutzutage eine Fernbeziehung. Manche kommen besser, manche schlechter damit klar. Es gibt unterschiedliche emotionale Entwicklungszyklen in einer Fernbeziehung. Welche Phasen beide Partner bei einem gemeinsamen Leben auf Distanz durchleben, wodurch diese sich auszeichnen und wie sich die Gefühle verändern, lesen Sie hier.

Von Claudia Haut

Wie Fernbeziehungen entstehen können

Die klassische Fernbeziehung, die es schon seit vielen Jahren gibt, entsteht oft aus einem Urlaubsflirt. Nichts ahnend fährt man mit der besten Freundin in den wohlverdienten Sommerurlaub und trifft hier den vermeintlichen Mann fürs Leben. Immer wieder besucht man sich gegenseitig und versucht, den Urlaubsflirt möglichst lange erhalten zu können.

Auch Paare, die beide Karriere machen möchten und deshalb ihren Wohnort nicht aufgeben können oder wollen, sind häufig gezwungen, eine Fernbeziehung zu führen. Seitdem auch die Frauen nicht mehr auf ihren beruflichen Erfolg verzichten möchten, gibt es diese Konstellation immer häufiger.

Die drei emotionalen Phasen einer Fernbeziehung

Emotional kann man Fernbeziehungen in drei Phasen unterteilen:

  1. In der ersten Phase sind beide Partner oder auch nur einer von beiden eher distanziert oder hat ein besonderes Kuschelbedürfnis, wenn der Abschied bevorsteht.

  2. Die zweite Phase zeichnet sich durch große Trauer aufgrund der Trennung aus. Die Gefühle beider Partner fahren Achterbahn.

  3. Im Anschluss folgt die dritte Phase. Wenn diese Form der Beziehung Bestand hat, können beide Partner die ständige Trennung irgendwann akzeptieren und auch Vorteile darin sehen. Sie gestalten ihr Leben so, dass sie mit der Fernbeziehung gut leben können.

Probleme oder Vorteile eines fehlenden Alltags

Dies gilt zumindest so lange, wie ein gemeinsames Leben noch nicht möglich ist. Denn die meisten Menschen wünschen sich irgendwann ein Ende ihrer Fernbeziehung und eine gemeinsame Wohnung, in der ein gemeinsamer Alltag gelebt wird.

Genau dieser Alltag kehrt in Fernbeziehungen nur schwer ein. Dies ist zum einen natürlich absolut von Vorteil, weil die Schmetterlinge im Bauch auch nach vielen Wochen und Monaten noch flattern. Andererseits kann oftmals das Gefühl von Vertrautheit nur schwer aufgebaut werden, wenn man sich vielleicht einmal im Monat oder noch seltener sehen kann.

Wodurch die Phasen einer Fernbeziehung im Einzelnen gekennzeichnet sind, erfahren Sie im Folgenden.

Merkmale der 1. Phase: Distanzierung oder Anlehnungsbedürfnis

Die erste Phase einer Fernbeziehung wird durch zwei gegensätzliche Gefühle geprägt: Die einen wollen den Partner kurz vor der Trennung gar nicht mehr loslassen, die anderen distanzieren sich schon Stunden vorher emotional voneinander.

Dabei ist besonders problematisch, dass die Erwartungen beider Partner nicht immer übereinstimmen.

Distanzierung

Jede Fernbeziehung besteht aus der kurzen Zeit, in der beide Partner zusammen sind und der Zeit der Trennung. Vor der Zeit, in der einer von beiden wieder nach Hause fahren muss, fahren die Gefühle Achterbahn. Beide Partner wissen, dass sie sich jetzt wieder für eine mehr oder weniger lange Zeit trennen müssen.

Die einen können mit diesem Gefühl besser umgehen, die anderen weniger gut. Natürlich hängt es auch davon ab, wie lange die Beziehung schon andauert. Jedoch ist es absolut verständlich, wenn sich ein Partner schon Stunden vor der Trennung emotional zurückzieht. Vielleicht hat er oder sie schon viele schmerzhafte Trennungen durchleben müssen, sodass es für ihn oder sie einfacher ist, wenn man sich schon Stunden vor der Abfahrt mit dem Gedanken anfreundet, dass man alleine nach Hause fährt.

Durch diese Distanzierung betrauert der Partner die sich nähernde Trennung, was man als prospektive Trauer bezeichnet. Auch wenn es eigentlich am schönsten wäre, die letzten Stunden in Harmonie miteinander zu verbringen, kann so eine Entfernung vom Partner auch zu Streitigkeiten führen.

Dies mag Paare mitunter erschrecken, allerdings sind solche Phasen zu diesem Zeitpunkt üblich. Sie bedeuten allerdings nicht, dass hier ein genereller Mangel an Gefühlen vorliegt.

Anlehnungsbedürfnis

Viele Menschen, die in einer Fernbeziehung leben, kennen in der Phase 1 jedoch auch ein ganz anderes Gefühl: das Gefühl des Anlehnungsbedürfnisses. Man möchte den anderen gar nicht mehr loslassen, weil man weiß, dass man ihn oder sie eine längere Zeit zwar vielleicht hören wird, jedoch nicht spüren kann.

Man möchte den anderen am liebsten gar nicht mehr loslassen
Man möchte den anderen am liebsten gar nicht mehr loslassen

Wenn beide Partner jeweils die gleichen Gefühle haben, also sich vor der Abfahrt distanzieren oder sich besonders anlehnen möchten, so fällt der Abschied zwar trotzdem schwer, ist aber für beide vermutlich besser erträglich.

Sehr häufig ist es jedoch so, dass nur einer der Partner diese emotionale Achterbahn durchlebt. Hier braucht der andere Partner sehr viel Verständnis, damit die Fernbeziehung auf lange Zeit bestehen bleiben kann.

Ablenkung im Alltag schaffen

Gerade wenn man beim Abschied sehr leidet, so ist es doch wichtig, seinen Alltag ohne Partner abwechslungsreich zu gestalten. Wer ständig zu Hause sitzt und trauert, weil der Partner nicht da ist, wird auf Dauer mit der Fernbeziehung nicht glücklich werden.

Wer jedoch regelmäßig seine eigenen Freunde trifft und Unternehmungen plant, der kann sich auf das kommende Wochenende gemeinsam mit dem Partner freuen, weil er sein eigenes Leben nicht aufgibt. Die Trauer in den Tagen und Wochen nach der Trennung ist übrigens bereits das Kennzeichen der zweiten Phase einer Fernbeziehung.

Der Abschied fällt immer besonders schwer doch das Wiedersehen bereitet überschwängliche Freude
Der Abschied fällt immer besonders schwer doch das Wiedersehen bereitet überschwängliche Freude

Merkmale der 2. Phase: Traurigkeit und starke Gefühlsschwankungen

Paare, die eine Fernbeziehung führen, kennen meist das Gefühl der großen Einsamkeit in der Zeit, in der sie den Partner nicht sehen oder fühlen können. Sie trauern der schönen gemeinsamen Zeit des letzten Wochenendes hinterher und leiden unter Gefühlsschwankungen.

Gefühlsschwankungen

Das letzte Wochenende war so schön, und bis wieder eine gemeinsame Zeit ansteht, vergehen noch Tage, Wochen oder sogar Monate. Einerseits freut man sich natürlich, dass man einen lieben Partner hat und die gemeinsame Zeit wieder wunderschön war.

Andererseits fällt man aber auch in ein tiefes Loch, weil das nächste Treffen so weit entfernt scheint. Diese Gefühlsschwankungen sind charakteristisch für Phase 2 einer Fernbeziehung.

Traurigkeit

Oft wechseln sich Traurigkeit und Wut ab
Oft wechseln sich Traurigkeit und Wut ab

Gleichzeitig sind viele Menschen, die in einer Fernbeziehung leben, aber auch traurig. Diese Traurigkeit geht nahtlos in Wut über, weil der eigene Arbeitgeber einen vielleicht nicht in die andere Stadt versetzen will. Oder weil der Freund seinen Job nicht kündigen und sich hier in der Nähe etwas suchen möchte.

Die Partnerschaft wird in der zweiten Phase häufig infrage gestellt. Man sieht die eigenen Freunde, die eine "normale Beziehung" in einer gemeinsamen Wohnung leben können, und muss an den Partner denken, der viele hundert Kilometer weit weg wohnt.

Die Entwicklung negativer Gedanken

Ist es die Beziehung überhaupt wert, dass man dauernd eine emotionale Achterbahn durchleben muss? Man wird in Phase 2 einer Fernbeziehung leicht ungerecht und zieht vieles ins Negative. Wenn der Partner die lilafarbene Bettwäsche überhaupt nicht leiden kann, so nimmt man sich vor, genau diese Bettwäsche nächstes Wochenende herzurichten, wenn der Partner wieder kommt.

Die eigene Wut treibt viele dazu, ungerecht zu werden und negative Gefühle auf den Partner zu projizieren. Warum soll man seine geliebte Bettwäsche einmotten, nur weil dem Partner die Farbe nicht gefällt? Die zwei Nächte wird er wohl auch in einer lilafarbenen Bettwäsche schlafen können.

In den Tagen direkt nach dem Abschied sind die Gefühlsschwankungen meist am schlimmsten. Sie dauern so lange an, bis man sich in Phase 3 befindet, in der man den Zustand der Trennung und die Freude auf das Wiedersehen akzeptieren kann.

Merkmale der 3. Phase: Akzeptanz und Neugestaltung

Paare, die schon eine ganze Weile eine Fernbeziehung führen, befinden sich emotional irgendwann in Phase 3. Sie haben akzeptiert, dass sie sich nur hin und wieder sehen können und gestalten daher ihren Alltag neu.

Akzeptanz

So schwer es ist, den oder die Liebste(n) nur am Wochenende, einmal im Monat oder sogar nur wenige Male im Jahr zu sehen - wenn die Liebe stark genug ist, akzeptieren beide Partner dies irgendwann. Natürlich passiert das nicht von heute auf morgen; Phasen der Einsamkeit und Sehnsucht können immer wieder vorkommen.

Aber irgendwann spielt sich alles ein. Die ständigen Trennungen und dann wieder die Vorfreude auf das nächste Treffen gehören zur Fernbeziehung einfach dazu. Das Paar erkennt seine Freiräume und Chancen und gewinnt an Selbstbewusstsein.

Die Vorfreude auf das nächste Treffen ist schön
Die Vorfreude auf das nächste Treffen ist schön

Neugestaltung

Wenn beide Partner gut mit der Situation zurechtkommen, so befinden sie sich in Phase 3 ihrer Fernbeziehung. Sie sind dann zufrieden mit der Beziehung, so wie sie gerade läuft und gestalten auch ihren Alltag neu, den Alltag alleine.

Doch nur weil der Partner weit weg ist, heißt dies ja nicht zwangsläufig, dass man die übrige Zeit jeden Abend alleine zu Hause vor dem Fernseher verbringt und die Tage zählt, bis endlich wieder das nächste Treffen ansteht. Beide Partner gestalten ihren Alltag so, dass sie sich z.B. unter der Woche mit Freunden verabreden und ihren Hobbys nachgehen, um dann am Wochenende Zeit für den Partner zu haben.

So sehr sich beide Partner natürlich wieder auf ihr nächstes Treffen freuen, so sehr können sie in Phase 3 aber auch das Alleinsein genießen. Sie können tun und lassen, was sie möchten, und müssen niemandem Rechenschaft ablegen. Trotzdem wissen sie, dass weit weg jemand ist, der sie wahnsinnig liebt und sich freut, wenn sie sich wieder treffen.

Mögliche Streitsituationen

In Phase 3 einer Fernbeziehung ist aber leider nicht immer alles rosarot. Gerade jetzt, wenn man sich schon so lange Zeit nur am Wochenende oder alle paar Wochen einmal sehen kann, hat man es vielleicht auch satt, nie den Alltag zu zweit zu erleben.

Man möchte natürlich in der kurzen Zeit, in der man den Partner sehen kann, keine Streitgespräche führen oder Grundsatzthemen ansprechen. Gerade deshalb entstehen aber dann auch viele Streitereien, weil eben nicht immer alles Eitel-Sonnenschein sein kann.

Die Vorfreude auf das Wiedersehen wird in vielen Fällen dadurch getrübt, dass nun unterschiedliche Ansichten, Alltagswelten und Pläne aufeinanderprallen. Statt Harmonie und Liebe kommt es zu Vorwürfen und Auseinandersetzungen.

Man sagt, dass die Eingewöhnung der Partner so lange andauert, wie die Trennung, der sie zuvor ausgesetzt waren, in vielen Fällen sogar noch länger. Erst nach dieser Zeit kommt es zur Einspielung aller Zuständigkeiten und Rituale.

Schon, wenn man sich jedes Wochenende sehen kann, ist es somit schwierig, die getrennte Phase aufzuarbeiten. Auf lange Sicht hin ist es möglich, dass die Beziehung oberflächlich wird, weil einfach nicht genug Zeit vorhanden ist, um Erwartungen und Gefühle miteinander auszutauschen.

Ob eine Fernbeziehung auf Dauer Bestand hat, hängt natürlich entscheidend von der Einstellung des Paares ab. Früher oder später wünschen sich die meisten den Alltag zu zweit und sind das ständige Getrenntsein satt. Trotzdem gibt es immer mehr Paare, die eine Fernbeziehung führen müssen, wenn keiner von beiden seinen Job aufgeben will oder kann.

Mit dem Befolgen einiger Ratschläge kann eine Fernbeziehung durchaus funktionieren - worauf diesbezüglich zu achten ist, haben wir hier für Sie zusammengestellt.