Warum ein zu perfektes Vorbild schnell zum Feindbild wird

Eine Abwehrhaltung gegenüber dem eigentlich perfekten Vorbild soll die eigenen Schwächen verdrängen

Von Cornelia Scherpe
10. März 2017

Viele Menschen orientieren sich bewusst oder unbewusst an Vorbildern. Doch sehr leicht passiert es auch, dass ein Mensch so perfekt in seinem Können ist, dass er bei anderen eine Abwehrreaktion hervorruft. Die kann derart heftig ausfallen, dass die "Vorbildperson" den negativen Gefühlsausbruch ihm gegenüber nicht mehr nachvollziehen kann. Der psychologische Verursacher dahinter: ein tiefgreifender Minderwertigkeitskomplex.

Ein Vorbild soll Dinge besser machen, die man selbst nur schwer oder kaum schafft. Es motiviert, dem Vorbild nachzueifern und oft wird die imaginäre Messlatte dabei sehr hoch gehängt. Ein Sportler soll positiv für die Jugend auftreten, ein Arzt bitte nicht rauchen und schlank sein.

Widersprüchlicher Anspruch an Vorbilder

Doch der Anspruch an Vorbilder ist extrem widersprüchlich. Erfüllt ein Arzt beispielsweise die Kriterien, ist auch noch sportlich sehr aktiv und tritt damit selbstbewusst auf, werden viele Patienten mit Gewichtsproblemen nicht in seine Praxis gehen. Sie empfinden eine starke Abneigung gegen diesen "Streber" und "Möchtegern".

Das bissige Verhalten ist eine Reaktion, um zu verdrängen, wie deutlich man mit den eigenen Schwächen und Fehlern konfrontiert wurde. Je tiefgreifender die Selbstzweifel werden, desto mehr Druck verspürt man und desto extremer werden die Abwehrreflexe.

Statt an eigenen Fehlern zu arbeiten und damit dem Vorbild konstruktiv zu folgen, erklärt man die Person instinktiv zum Feinbild. So wertet man sich selbst wieder auf und fühlt sich weniger als schlechter Mensch. Eine Weiterentwicklung kann so jedoch nicht erfolgen.

Vorbildpersonen können das Abwehrverhalten nicht beeinflussen

Das Problem für die Personen, die Vorbild und Feindbild in einem sind: Sie können kaum etwas an den Minderwertigkeitskomplexen der Betroffenen ändern und die Abwehrreflexe oft überhaupt nicht verstehen. Denn um die heftigen Reaktionen zu provozieren, genügt es bereits, dass der "Unterlegene" von sich selbst so denkt. Sein Gegenüber muss weder etwas Provozierendes gesagt noch getan haben. Es genügt, dass ein Betroffener sich sein eigenes Fehlverhalten vor Augen geführt sieht.