Straßenzeitungen - Lokalzeitungen für Menschen in Not: Prinzip, Organisation und Wirkung

Straßenzeitungen sind lokale Zeitungen, die ausschließlich von Menschen in sozialer Not verkauft und häufig zudem geschrieben werden. Hierzulande freuen sie sich wachsender Beliebtheit. Sie werden auf der Straße, in Bahnhöfen, auf Plätzen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln verkauft. Der Erlös der Zeitungen kommt den Verkäufern zu mindestens 50 Prozent zugute. Lesen Sie über das Prinzip einer Straßenzeitung, und inwieweit deren Verkauf besonders Obdachlosen helfen kann.

Von Sibylle Fünfstück

Prinzip und Organisation der Straßenzeitungen

Straßenzeitungen werden vor allem von Obdachlosen angeboten; daher hat sich der Begriff der Obdachlosenzeitung durchgesetzt. Aber auch Langzeitarbeitslose und Suchtkranke können sich mit dem Verkauf der Zeitungen etwas Geld dazuverdienen. Auch das Mitwirken an der Produktion und Redaktion und Gestaltung der Straßenzeitungen steht den Obdachlosen offen.

Die Zeitungen stellen gewissermaßen eine Hilfe zur Selbsthilfe dar. Der Erlös der Zeitungen kommt den Verkäufern zu mindestens 50 Prozent zugute. Ein wichtiger Schritt für die Obdachlosen, denn häufig können sie nach langer Zeit zum ersten Mal selbst entscheiden, was sie mit ihrem Geld machen.

Viele Straßenzeitungen werden von Organisationen realisiert, die zusätzlich soziale Projekte wie Notunterkünfte anbieten. Wie bei jeder anderen Zeitung entscheidet die Qualität über den Verkaufserfolg.

Inhalte und Verkauf

Inhaltlich machen sich die Straßenzeitungen für die Armen und Obdachlosen stark. Sie

  • zeigen Missstände auf
  • benennen Konflikte und
  • kritisieren Schwachpunkte der Sozialpolitik.

So nimmt diese Zeitung eine Perspektive vom Rand der Gesellschaft ein. Dies hat zur Folge, dass die Konsequenzen der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklungen einer Region und des Landes aus der Sicht jener nachvollzogen werden können, welche nicht wirklich zu einer Gegenwehr imstande sind und oft am meisten unter diesen leiden.

Gleichzeitig beschäftigen sich Straßenzeitungen auch mit vermeintlich banalen Ereignissen und Projekten, welchen in der Öffentlichkeit vielleicht keine Beachtung geschenkt wird, aber welche der Gesellschaft nichtsdestotrotz helfen. Letztlich behandeln diese News häufig schlicht noch ganz gewöhnliche Themen, so dass in den meisten Straßenzeitungen auch stets eine Sportrubrik eingebettet ist.

Inhaltlich widmen sich Straßenzeitungen auch Missständen und Schwachpunkten der Sozialpolitik
Inhaltlich widmen sich Straßenzeitungen auch Missständen und Schwachpunkten der Sozialpolitik

Die Vertriebsstandorte, an denen die Verkäufer die Zeitungen für etwa 40 bis 80 Cent pro Exemplar erstehen können, ist häufig ein wichtiger Treffpunkt und Kommunikationszentrum für die Obdachlosen. Bevor es an den Verkauf geht, wird diesen ein Verkaufsplatz zugewiesen.

Dabei gelten feste Regeln für den Verkäufer. So ist der Konsum von Alkohol und Betteln während der Arbeit verboten.

Etwa 50% des Verkaufspreises können die Verkäufer nach getaner Arbeit als Gewinn einbehalten. Doch der Verkauf auf der Straße ist nicht nur ein finanzieller Zugewinn. Viele Verkäufer nutzen die Möglichkeit, mit neuen Menschen ins Gespräch und somit mit der Gesellschaft in Kontakt zu kommen und die eigene Isolation allmählich aufzugeben. So haben die alten Hasen unter den Verkäufern längst ihre treue Stammkundschaft. Die deutschen Straßenzeitungen werden vom Bundesverband Soziale Straßenzeitungen e.V. vertreten, der nicht nur Sprachrohr ist, sondern zugleich Ansprechpartner für alle Straßenzeitungen.

Es gibt unter den Straßenzeitungen auch solche, die ihre Verkäufer fest einstellen. Die Finanzierung einer solchen Festeinstellung wird zum Beispiel durch Bürger der Stadt im Rahmen von Patenschaften ermöglicht.

Wer es jedoch so weit schaffen möchte, muss Leistung bringen. So ist es nicht selten, dass dafür ein monatlicher Mindestverkauf von 400 Zeitschriften geleistet werden muss.

Die Geschichte der Straßenzeitungen

Die erste Straßenzeitung war die Streetnews, welche erstmals 1989 in New York publiziert wurde. Es dauerte daraufhin nur zwei Jahre, bis auch in Europa das Potential dieses Printmediums erkannt wurde.

So kam es im Jahre 1991 zur Gründung des Big Issue. Hierbei handelt es sich um die erste und bis heute größte Straßenzeitung Londons. Der Big Issue wurde allerdings nicht von den Obdachlosen selbst, sondern von professionellen Redakteuren verfasst. Die Obdachlosen übernahmen wiederum nur den Verkauf, was dem Big Issue trotz des Erfolgs auch einige Kritik einbrachte.

Auf internationaler Ebene

Seit Mitte der 90er Jahre schafften es Straßenzeitungen sich zunehmend auch in Deutschland zu etablieren. So kam es zu dieser Zeit zur Gründung fester Größen wie den Hinz und Kunzt Hamburgs sowie den BISS aus München.

Im Laufe des letzten Jahrzehnts fanden Straßenzeitungen schließlich auch international mehr Beachtung. Dies dürfte auch an sozialen Projekten und Unternehmungen liegen, welche auf die Unterstützung dieser Zeitungsform setzen.

Als Beispiel kann in diesem Zusammenhang eine Aktion der bekannten Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling dienen. Rowling beschloss nämlich 2003, dass das erste Kapitel des neuesten Buchbandes zunächst in diversen Straßenzeitungen publiziert werden sollte, bevor es erst eine Woche später bei der Veröffentlichung des Buches gelesen werden kann.

Wirkung: neuer Lebensmut für Obdachlose

Insbesondere in deutschen Großstädten kann man gelegentlich auf Obdachlose stoßen, welche mit einem Packung Zeitungen durch die Fußgängerzonen laufen oder am Straßenrand stehen. In einem solchen Fall kann man sich fast sicher sein, dass es sich hierbei um den Verkäufer einer Straßenzeitung handelt. Doch warum kann zu Recht behauptet werden, dass die Arbeit bei einer Straßenzeitung vielen Obdachlosen neuen Lebensmut bringt?

Es gibt einige Gründe, warum die Mitarbeit bei einer Straßenzeitung tatsächlich ein Schritt in die richtige Richtung ist. Sollte man demnach Obdachlose in einer Fußgängerzone unterstützen wollen, dann kann es sinnvoller sein, eine Straßenzeitung zu kaufen, als einem Bettler Geld in eine Dose zu werfen.

Letztere handeln nämlich in vielen Fällen nicht eigenmächtig, sondern sind Teil organisierter Banden, welche die einzelnen bettelnden Obdachlosen schlicht ausnutzen und erpressen. Bei einer Straßenzeitung kann man sich hingegen sicher sein, dass dem Obdachlosen so aus einem Leben der täglichen Bettelei verholfen wird.

Die Straßenzeitung verhilft den Obdachlosen zu einem geregelten Tagesablauf. Es besteht demnach nicht mehr das Gefühl, nur in den Tag hineinzuleben und seine Zeit deshalb entsprechend sinnlos zu vergeuden.

Stattdessen geben Straßenzeitungen den Obdachlosen einen Tagesablauf vor, welcher durch bis zu zehn Stunden Arbeit zur stets gleichen Zeit gekennzeichnet ist. Dieser geregelte Tagesablauf zieht wiederum zahlreiche positive Begleiterscheinungen nach sich.

Die Straßenzeitungen verhelfen den Obdachlosen zu einem geregelten Tagesablauf
Die Straßenzeitungen verhelfen den Obdachlosen zu einem geregelten Tagesablauf sowie geringen Verdienstmöglichkeiten

Dies wäre einerseits das Gefühl, wieder gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun. Es gibt schließlich nichts Schlimmeres für einen Menschen, als dass jeder Tag keinem Ziel dient und sich auf nichts gefreut werden kann.

Darüber hinaus sorgt die Arbeit bei einer Straßenzeitung häufig noch zu einer Reduktion des Alkohol- und Drogenkonsums. Diese Folgen können ebenso als Begleiterscheinung des geregelten Tagesablaufs gesehen werden, da es bei Straßenzeitungen verboten ist, im Rauschzustand bei diesen mitzuwirken. Bei einer Straßenzeitung kann man sich zudem sicher sein, dass dem Obdachlosen so aus einem Leben der täglichen Bettelei verholfen wird.

Schritt für Schritt

Darüber hinaus gibt das Einkommen den Obdachlosen neuen Lebensmut. So verfügen solche Mitarbeiter endlich über die finanziellen Reserven, sich auch eine Kleinigkeit gönnen zu können. Selbst wenn es sich hierbei nur um einen Kinobesuch oder den Eintritt zu einem zweitklassigen Fußballspiel handelt: es überwiegt stets das Gefühl, etwas verdient zu haben und vielleicht auch einen Weg aus der Obdachlosigkeit zu finden.

Geteiltes Leid ist halbes Leid

Des Weiteren kann neuer Lebensmut aus der Tatsache geschöpft werden, dass es einem nicht alleine so ergeht. Stattdessen arbeitet man tagtäglich mit Menschen zusammen, welche das gleiche Schicksal erleiden und die trotzdem das Beste aus der persönlichen Situation machen. Die Mitarbeit bei einer Straßenzeitung kann demnach auch inspirieren und motivierend auf den Obdachlosen wirken, der dann wieder ein gesundes Selbstwertgefühl entwickelt.

Fazit

Insgesamt gibt es zahlreiche Gründe, warum die Straßenzeitung den Obdachlosen neuen Lebensmut bringen kann. Beim Kauf einer solchen Zeitung kann man sich demnach sicher sein, auch den Menschen der Gesellschaft zu helfen, die finanziell sehr schlecht aufgestellt sind.