Introversion und Extraversion - die Stärke der Stillen

Auch introvertierte Menschen haben für die Arbeitswelt so ihre Vorteile - und ergänzen extravertierte deshalb gut

Von Dörte Rösler
27. Juli 2015

Die meisten Menschen können beides: je nach Situation kehren sie ihre Energie lautstark nach außen oder wenden sich still nach innen. Rund ein Drittel der Bevölkerung gilt jedoch also ausgesprochen introvertiert und muss mit allerlei Widrigkeiten kämpfen.

Extravertierte sind kontaktfreudig und durchsetzungsstark, weshalb sie im Beruf als kompetenter gelten. Ein Irrtum, wie Psychologen meinen. Introversion ist eine Stärke. Auch immer mehr Unternehmen erkennen das.

Genetische Prägung

Tatsächlich scheinen Introversion und Extraversion genetisch geprägt zu sein. Langzeitstudien belegen etwa, dass Erwachsene mit introvertiertem Charakter schon als Säugling empfindlich auf laute und neue Reize reagierten.

Während Extravertierte ständig Anregungen von außen brauchen, um zu lernen oder sich wohl zu fühlen, bevorzugen introvertierte Menschen eine stille Umgebung. Im Gehirn von Introvertierten herrscht eine höhere kortikale Grunderregung. Schon in Ruhephasen haben sie deshalb eine optimale neuronale Aktivität.

Kulturelle Unterschiede

Schlagfertig, gesellig und risikofreudig - kaum eine Gesellschaft feiert das extravertierte Alphatier so sehr wie die USA. Auch in den südlichen Ländern Europas bekommen die lauten und energischen Menschen eine große Bühne. Schaut man nach Skandinavien, sieht es schon anders aus.

In Asien ist eine offensive Attitüde sogar verpönt. Spätestens in der Führungsetage von Unternehmen stoßen Extravertierte an ihre Grenzen. Gefragt sind Macher, die zuhören können und eine nachdenkliche Haltung zeigen.

Die Wirtschaft denkt um

Extraversion bringt die Welt in Bewegung - Introversion hält sie in Balance. Diese Erkenntnis setzt sich zunehmend auch in deutschen Firmen durch. Statt in Meetings auf den lautesten Sprecher zu hören, setzen sie moderne Organisationstechniken ein, bei denen auch die ruhigen Kollegen ihre Ideen einbringen können.

Zugleich bieten sie Trainings für Introvertierte. Ziel ist es nicht, endlich auch laut zu werden. Die Stillen können aber lernen, wie sie sich und ihre Vorschläge in größeren Gruppen wahrnehmbar machen.

Die Stärken der Stillen

Auch gesellige und kontaktfreudige Macher können sorgfältig arbeiten. Wer schnell und risikofreudig ist, investiert seine Energie jedoch eher in das Vorantreiben eines Projekts, die konzentrierte Analyse kommt dabei oft zu kurz.

Gerade hier liegt aber die Stärke der Introvertierten: sie

  • arbeiten meist sorgfältiger,
  • wägen besser ab,
  • hören genauer zu und
  • sind verlässlicher.

Ohne die Stillen wären Teams deshalb nicht erfolgreich.

In Zukunft könnten ruhige Chefs und Kollegen noch wichtiger werden. Die Firmen sind zunehmend global vernetzt, das macht die Geschäftswelt nicht nur schneller sondern auch unübersichtlicher.

Lautstarke Bestimmer, die sich selbst in den Mittelpunkt stellen, sind diesen Herausforderungen nicht gewachsen. Nun schlägt die Stunde der stillen Denker: sie

  • können verschiedene Perspektiven einnehmen,
  • analysieren die Lage mit kühlem Blick und
  • arbeiten beharrlich an einer Lösung.