Flesh Tunnels und Co. - Formen und Möglichkeiten der geweiteten Piercings

Unter geweiteten oder gedehnten Piercings versteht man Piercings, deren Stichkanal man gezielt dehnt bzw. vergrößert, was auch als Stretching bezeichnet wird. Auf diese Weise lässt sich Piercingschmuck mit größerem Durchmesser einsetzen. Besonders häufig findet man diese Form des Piercings als Flesh Tunnel im Bereich des Ohrs. Lesen Sie über die Formen und Möglichkeiten von geweiteten Piercings.

Britta Josten
Von Britta Josten

Was sind geweitete Piercings?

Während zum Piercen ursprünglich organische Materialien verwendet wurden, nutzt man heute vorwiegend Edelmetalle oder hochwertige Kunststoffe. Deren Form und Größe kann variieren, so dass es manchmal notwendig ist, den Stichkanal zu weiten, damit das Schmuckstück eingeführt werden kann.

Dies geschieht mit so genannten Dehnungsstiften, selten mit Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Man spricht vom geweiteten oder auch gedehnten Piercing.

Diese werden als Flesh Tunnel besonders gern im Ohrbereich getragen. Nach und nach lässt sich ein immer größerer Ohrschmuck einsetzen. Das Dehnen des Stichkanals bezeichnet man auch als Stretching.

Beim Piercen werden ausgewählte Körperregionen mit Stichkanälen versehen, um später durch diese spezielle Schmuckstücke führen zu können. Um Gegenstände mit einem größeren Durchmesser verwenden zu können, benötigt man einen geweiteten Stichkanal. Dieser kann sich im Bereich der Ohrläppchen, aber auch an beinahe jedem anderen Körperteil befinden.

Geschichte der geweiteten Piercings

Das geweitete Piercing wird schon sehr lange getragen. Überlieferungen belegen, dass es sie schon bei den indigen Kulturen gab. Allerdings diente das geweitete Piercing dort wahrscheinlich weniger als Schmuckobjekt.

Vielmehr ist bekannt, dass einige Stämme ihre Frauen in besagter Weise markieren und für die Männer anderer Völker verunstalten wollten. Im eigenen Stamm wurde das geweitete Piercing als Zierde akzeptiert. Regional wurden sehr unterschiedliche geweitete Piercings getragen.

  • In Afrika und Südamerika beispielsweise trägt man zum Teil noch heute enorme Lippenteller, in welche Tonscheiben eingeführt worden sind.

  • In Brasilien verwenden einige Indianerstämme Lippenpflöcke, die einen Durchmesser von bis zu vier Zentimetern besitzen können. Das Dehnen der Piercings beginnt bereits im Alter von acht Jahren.

  • In einigen Teilen Afrikas und in Asien gelten geweitete Piercings im Bereich des Nasenrückens und der Nasenflügel als schön. Sie werden als Nostril-Piercings bezeichnet.

  • Auch in Europa wurde das geweitete Piercing wiederentdeckt. Im Allgemeinen wird es von bestimmten Szenen im Bereich des Ohrläppchens getragen. Seine Popularität stieg in den 1990er Jahren, als die Modern Primitives das Verlangen nach Körpermodifikation weltweit verbreiteten.

Durchführung und Risiken der gedehnten Piercings

Das Dehnen des Stichkanals

Beim Dehnen des Stichkanals kommt es darauf an, behutsam vorzugehen, damit das Gewebe nicht reißt. Besonders kompliziert ist das Stretchen von Knorpelgewebe, das bei unsachgemäßer Behandlung zur Narbenbildung neigt. Im Laufe einiger Wochen wird der Stichkanal durch Dehnungsstifte schrittweise geweitet, bis das gewünschte Schmuckstück hindurchgeführt werden kann.

Sofern das Piercing nicht mehr getragen werden soll, kann es entfernt werden. Der geweitete Kanal heilt allmählich wieder zu, wird jedoch nie wieder vergleichbar mit einem normalen Ohrloch.

Ein Hautarzt kann auf Wunsch das gedehnte Ohrläppchen wieder zunähen - die Kosten von rund 50 Euro trägt der Patient.

Punchen als Alternative

Eine andere Methode zum Einführen von Piercingschmuck mit größerem Durchmesser ist das Einschneiden des Gewebes. Sie wird als schmerzhafter empfunden und hat den Nachteil, dass die Wunde nur durch eine Operation wieder vollständig geschlossen werden kann.

Außerdem ist es möglich, durch einen einzigen Eingriff ein großes Loch für den Piercingschmuck zu erzielen. Mittels eines Stanzgeräts wird ein entsprechendes Gewebeteil herausgetrennt ("gepuncht").

Dehnen durch das Tragen von Gewichten

Durch das Tragen von starken Gewichten kann ebenfalls Gewebe geweitet werden. Allerdings wird dadurch auch der Effekt erzielt, dass dieses dünner wird. Dieser Zustand lässt sich im Nachhinein nicht mehr rückgängig machen.

Unerwünschte Dehnung des Stichkanals

Manchmal entsteht das geweitete Piercing auch unerwünscht. Nämlich dann, wenn das Gewebe des normalen Stichkanals einer ständigen Reibung mit dem Piercingschmuck ausgesetzt ist. Dies passiert beispielsweise bei größeren Kreolen, die im Ohrläppchen getragen werden.

Die so genannten Flesh Tunnels kommen im Bereich der gedehnten Piercings am häufigsten vor...

Flesh Tunnel: geweitete Piercings im Ohrbereich

Viele Arten des Piercings durchdringen unterschiedliche Gewebeschichten. Als Beispiel sei das in Europa am häufigsten verwendete Ohrläppchenpiercing erwähnt.

Der Stichkanal verläuft in verschiedenen Ebenen, wobei das Schmuckstück diverse Formen besitzen kann. Häufig werden Ohrstecker verwendet, aber auch Kreolen sind sehr beliebt.

In Europa werden Letztere meist von Frauen getragen. Weiterhin hat das Tragen von geweiteten Piercings im Ohrbereich seit den 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen.

Ohrläppchendehnung: Körperschmuck mit Geschichte

Wie viele andere Formen der Körperverzierung ist auch Flesh Tunnel, zu deutsch etwa "Fleischtunnel", keine Erfindung der Neuzeit. In vielen indigenen Kulturen kennt man die gezielte Dehnung bestimmter Körperpartien zur Verzierung und Schmückung seit Jahrtausenden.

So gibt es beispielsweise Eingeborenenstämme, in denen das Dehnen der Unterlippe in tellergroße Flesh Tunnels noch heute als echtes Statussymbol gilt. Je stärker die Dehnung, desto größer das gesellschaftliche Ansehen.

Heutige Bedeutung der gedehnten Ohrläppchen

In der westlichen Hemisphäre spielt die Kunst der Ohrläppchendehnung vor allem in der Piercing- und Bodymodification-Szene eine Rolle. Hier gelten die Flesh Tunnels als ein Ausdruck eines ganz speziellen Modegeschmacks; zusätzlich kann hiermit auch eine bestimmte Lebensweise und Weltsicht verbunden sein.

Auffällig ist dieser Körperschmuck in jedem Falle - und dabei sogar veränderbar: Weil die Dehnung des Ohrläppchens ein wenig Zeit benötigt, wird mit einem kleineren Piercing in diesem Bereich begonnen. Die Öffnung des Gewebes wird jetzt mit einem tunnelförmigen Ring gehalten.

Viele Menschen behalten eine gewünschte Größe der Flesh Tunnels bei - andere aber finden Gefallen an der kontinuierlichen Ohrläppchendehnung und lassen nach und nach größere Ringe einsetzen, die wiederum für eine noch stärkere Dehnung des Gewebes sorgen. Somit ist es möglich, das Loch im Ohrläppchen auf viele Zentimeter auszudehnen und dann mit passendem Piercingschmuck zu verzieren.

Wie beim Piercingschmuck allgemein so gilt auch für Flesh Tunnels: Sorgfältige Hygiene ist Pflicht. Der durch den Schmuck ständig verschlossene Stichkanal muss regelmäßig gereinigt werden, damit es hier nicht zu Infektionen und Verschmutzungen kommt.

  • A. Kontos, D. Ozog Use of purse-string suture technique in closure of flesh tunnel defects of the bilateral earlobes, Dermatologic surgery, 2006, Band 32, Nr. 8
  • Anna Fischhaber Weg mit dem Fleshtunnel, sueddeutsche.de, 2014

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