Der Humpelrock

Nomen est omen - der Name ist ein Zeichen, zumindest, wenn es um den Humpelrock geht. Dieser nämlich ist so eng und lang geschnitten, dass seine Trägerin lediglich kleine Trippelschritte tun oder, weniger vornehm ausgedrückt, schlechterdings nur humpeln kann. Im Grunde genommen handelt es sich beim Humpelrock um einen altmodischen, waden- bis knöchel- bzw. bodenlangen Bleistiftrock - natürlich ohne Gehschlitz.

Von Cornelia Gschiel

Geschichte des Humpelrocks

Wir schreiben die Jahre 1910/11. Es herrscht Aufbruchsstimmung - nicht nur in der Automobilindustrie oder der Luftfahrt, wo der erste Mensch in einem Flugzeug die eintausend-Meter-Marke erreichte, auch in Wissenschaft (Begründung der Atomphysik) und Aufklärung (Internationale Hygiene-Ausstellung Dresden 1911) weht der Geist der Moderne.

Ganz vorn mit dabei sind die Künstler. So beispielsweise präsentiert Umberto Boccioni 1910 das Manifest der futuristischen Malerei, veröffentlicht Thomas Mann 1911 den Tod in Venedig, wird 1911 das Filmstudio Babelsberg gegründet.

Die Mode ist allerdings noch nicht ganz in der Moderne angekommen, hat sich aber schon deutlich von den Einschränkungen der Jahrhundertwende emanzipiert. Sie steht ganz im Zeichen des Humpelrocks, der eigentlich locker fallen würde - wäre da nicht diese enge Passe, mit der er unterhalb des Knies bis hin zum Saum zusammengehalten wird.

Befreiung oder Beschränkung der Frau?

Sein Schöpfer, der Pariser Couturier Paul Poiret, kommentiert lakonisch, er habe zwar die Brüste seiner Kundinnen aus der Gefangenschaft befreit, dafür aber ihren Beinen Fesseln angelegt. Revolutionär war, dass der Humpelrock Beine und Fesseln der Trägerin zeigte.

Da sich die Frauen darin jedoch kaum bewegen konnten - immer wieder gab es Unfallmeldungen, weil eine Humpeltockträgerin zu langsam über die Straße gelangte, die Treppe hinunterstürzte und Ähnliches -, wurde die Mode von Beginn an mit dem Protest der erstarkenden Frauenrechtlerinnen begleitet.

Gewusst: Modebewusste Damen banden sich die Beine mit Fußfesseln aus Litzenband zusammen, um ein Zerreißen des Rocks zu vermeiden!

Immerhin trieb die Humeplrock-Mode solche Blüten, dass sich junge, modebewusste Damen die Beine mit aus Litzenband gefertigten Fußfesseln zusammenbanden, um einem möglichen Zerreißen des teuren Rocks durch zu große Schritte entgegenzuwirken.

Ganz im Sinne des Modeschöpfers verzichteten die modernen Damen, quasi als Kompensation der Selbstbeschränkung "untenrum", auf das bisher obligatorische Korsett.

Alltagstaugliche Variante

Da man mit einem Humpelrock kaum aus einer Kutsche oder einem Automobil steigen konnte und es dabei häufig zu Verletzungen kam, musste eine alltagstaugliche Version des Humpelrocks her.

In amerikanischen Bahnhöfen mussten sogar zusätzliche Stufen angebracht werden, um Humpelrockträgerinnen den Zugang zu den Zügen überhaupt zu ermöglichen und im amerikanischen Dallas dachte man sogar darüber nach, aus Sicherheitsgründen die Bürgersteige abzusenken.

Diese alltagstaugliche Variante bestand aus einem weiten Kleiderrock, dessen Weite auf Wadenhöhe gebauscht und von einer engen, breiten Blende zusammengerafft wird. Zwar boten diese Röcke etwas mehr Bewegungsfreiheit, wirkten beim Gehen jedoch recht unvorteilhaft, wie die 1887 gegründete Illustrierte "Wiener Mode" in der Juliausgabe 1910 kritisierte.

Lieber war ihr der Empire-Stil, der ebenfalls von Poiret geschaffen wurde. Dessen schmale Kleidersilhouette wurde durch riesenhafte Hüte ausgeglichen.

Enstehung des Tangokleids

Der hassliebevoll auch als "Fesselrock" oder "Mumienrock" bezeichnete Humpelrock verschwand mit dem ab 1912 aufkommenden Tangofieber wieder ebenso schnell aus der Mode, wie er gekommen war. Jetzt kreierte der immer noch Maßstäbe setzende Poiret dem Tanz angepasste Roben: Das Tangokleid war geboren.

Dessen Rock war zwar eng geschnitten und knöchellang, jedoch mit einem seitlich oder vorn angebrachten langen Schlitz versehen, der die Tangoschritte ermöglichte.

Im Alltag wurden Kleider jetzt mit einer Tunika, einer langen Bluse, getragen. Auch Kostüm und Jackenkleid begannen, sich in der Alltagsmode durchzusetzen.

Comeback

Umso unverständlicher ist es, dass der unbequeme und gemeingefährliche Humpelrock in den 1950er und 1960er Jahren noch ein Comeback erleben sollte. Dieses beschränkte sich allerdings auf die USA.

Man hatte jedoch dazugelernt - die neuen Schlauchröcke waren nicht mehr ganz so lang und ermöglichten ihren Trägerinnen so zumindest ein Minimum an Bewegungsfreiheit.

Vereinzelt sieht man dem Humpelrock verwandte Röcke auch heute noch. So etwa erschien die Sängerin Mariah Carey im Jahr 2005 zur Oscar-Preisverleihung in einem Humpelrock. Aus dem Alltag ist er aufgrund seiner Unbequemlichkeit und Nicht-Vereinbarkeit mit dem Leben einer modernen Frau vollkommen verschwunden.